Mindestgehälter als Diskussions-Thema der „Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare“.

Die „Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare“ (VÖB) sieht sich als freiwillige Berufsvertretung der Menschen, die in Bibliotheken, Archiven, Dokumentationsstellen und in der Informations-, Kultur- und Wissensvermittlung beschäftigt sind.

Insgesamt können diese überwiegend weiblichen Beschäftigten dem Bereich Kultur- und Wissenschaftsdienstleistungen zugeordnet werden. Ein gesetzlich verankertes Berufsbild gibt es nicht, dafür eine rege Vernetzung, die dazu führte, dass Stellen­ausschreibungen einzelner Bibliotheken im Vereinsblog übermittelt werden. Die unterschiedlich hohen Mindestgehaltsangaben in diesen Stellenausschreibungen lösten in letzter Zeit heftige Kritik bei den Mitgliedern der VÖB aus.

Podiumsdiskussion

Auf meine Anregung hin entschied sich der Vorstand der VÖB beim heurigen österreichischen Bibliothekartag in der Wiener Universität eine Podiumsdiskussion zum Thema zu veranstalten. Diese fand Mitte September 2015 statt, war sehr gut besucht und dauerte fast zwei Stunden.

Informiert wurde darüber, dass die politische Entscheidung zur Ausgliederung von hochrangigen österreichischen Kulturbetrieben – darunter zahlreiche Biblio­theken – um die Jahrtausendwende bis heute nicht von den politisch Verantwortlichen evaluiert wurde. Zahlreiche Kulturinstitutionen wurden in eine Scheinselbständigkeit entlassen, in den Ausgliederungsgesetzen wurde teilweise sogar auf die Verankerung der Sozialpartnerschaft und die Entwicklung von Berufsbildern und Kollektivverträgen verzichtet.

Die Ausgliederung der Ausbildung im Bereich Bibliothekswesen und Wissensvermittlung bewirkte eine enorme Kostensteigerung für die Auszubildenden – heute 9700 Euro für zwei Jahre Berufsausbildung, und das ohne die Arbeitsplatzsicherheit des ehemaligen öffentlichen Dienstes, der Ausbildungen bedarfsorientiert genehmigte. Diese bewährte Form der dualen vierjährigen Berufsausbildung gibt es nach wie vor im benachbarten Bayern.

Zukunftsbranche Wissens- und Kulturvermittlung

Die Basisabgeltungen für diese Betriebe stagnieren wegen Sparpaketen, Wirtschaftskrisen und Rettungsschirmen für Banken und EU-Mitgliedsländer. Der politische Wille zur ausreichenden Ausstattung der Zukunftsbranche Wissens- und Kulturvermittlung scheint vollkommen zu fehlen. Das bewirkt, dass immer mehr höchst qualitätsvoll und teuer ausgebildete Menschen in Formen prekärer Beschäftigung geraten und zu den „Working Poor“ Österreichs zu zählen sind, die sich in den Betrieben noch so sehr verausgaben können und nach einem hart erkämpften und stark fragmentierten Berufsleben auf ein Leben in Altersarmut zusteuern.

Unter prekärer Beschäftigung sind

  • Teilzeitstellen,
  • geringfügige Beschäftigung,
  • Praktika,
  • Volontariate,
  • Ehrenamt,
  • befristete Projektarbeit und Drittmittelstellen,
  • Leih­arbeit,
  • freie DienstnehmerInnen-Verträge oder Werkvertragstätigkeit,
  • Agenturbetrieb für „work on demand“ und
  • befristete Sonderverträge mit einkommensverzerrenden „All-in-Klauseln“

zu verstehen – sie alle bilden eine zunehmend belastende Arbeitswirklichkeit in einem stetig sich erhitzenden Wettbewerbsklima auf einem sehr begrenzten Markt für KulturarbeiterInnen.

Prekäre Formen von Beschäftigung wirken sich lang­fristig ganz konkret auf das Leben der Menschen aus:

  1. Prekär beschäftigte Menschen können keine ­Wohnung mieten.
  2. Sie verzichten häufig aufgrund ihrer unsicheren Einkommenslage auf Familiengründung und vereinsamen.
  3. Sie können durch mehr physische und psychische Belastungen im Falle einer schweren und langanhaltenden Erkrankung aus allen sozialen Netzen fallen und sogar ohne Krankenversicherung dastehen.
  4. Sie sind nicht kreditwürdig.
  5. Ihre Betreuungspflichten kollidieren mit der ihnen abverlangten Flexibilität – auch wegen des Mangels an flexiblen Kinderbetreuungseinrichtungen.
  6. Prekär Beschäftigte steuern in Richtung vorprogrammierter Altersarmut und weg vom selbstbestimmten Leben mit existenzsicherndem Einkommen.
  7. KollegInnen mit Migrationshintergrund sind aufgrund zu niedriger Einkommen in der Gefahr, ihre Aufenthaltsberechtigung zu verlieren, die österreichische Staats­bürgerschaft und politische Mitwirkungsrechte nicht erreichen zu können.

Von 120.000 auf 333.000

Bundesminister Dr. Ostermayers im Kulturbericht 2013 genanntes Ziel, „das vielfältige Kulturangebot unseres ­Landes auf höchstem Niveau zu halten und möglichst viele Menschen daran teilhaben zu lassen“ schließt offensichtlich nicht jene Menschen ein, die davon leben können ­sollten, weil sie konkrete Kultur- und Wissensvermittlungsarbeit leisten. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen empfiehlt zahlreiche Maßnahmen zur dringend notwendigen politischen Intervention. Die Wiener Arbeiterkammer liefert aktuelle Daten und bestätigt, dass etwa die Zahl der geringfügig Beschäftigten in den letzten zwanzig Jahren um 160 Prozent gestiegen ist – von 120.000 auf 333.000.

Für die österreichischen Kulturbetriebe heißt das: Wenn die finanzielle Ausstattung nicht angemessen erhöht wird, nimmt die prekäre Beschäftigung in den Betrieben weiter zu und Österreich schließt sich durch diese Art „Braindrain“ von einer Zukunft als Wissensgesellschaft aus.

Aus der Podiumsdiskussion ergaben sich eine Presse­aussendung der VÖB und die Gründung einer offenen Arbeitsgruppe, die konkrete Handlungsstrategien und Maßnahmen erarbeiten will.

Wünsche

Ich wünsche mir mehr mögliche Aktivitäten wie Resolution, Pressetexte, Pressekonferenzen, Kontaktaufnahme mit ÖGB, Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier und Gewerk­schaft der Gemeinde­bediensteten – Kunst, Medien, Sport, freie Berufe und die Entwicklung gewerkschaftlicher Maßnahmen gegen das Prekariat, Gespräche mit dem Bundeskanzleramtsminister Ostermayer und mit den Bildungs- beziehungsweise KultursprecherInnen der politischen Parteien, parlamentarische Bürgerinitiativen und Anfragen zum prekären Arbeitsleben in der Warteschleife und zur Verbannung in die „Zone der Verwundbarkeit“.

Zeit zum Lesen

Der Vorsitzende der UG im Öffentlichen Dienst, Reinhart Sellner, hat meinen Impulstext bereits in die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) eingebracht. Ich kann in den nächsten Tagen die Aktivitäten der ÖGB- und GÖD-Frauen rund um die Veranstaltung „70 Jahre ÖGB-Frauen für Gerechtigkeit“ zur Information nutzen und werde unter anderem darauf hinweisen, dass die Betriebsräte­konferenz der österreichischen Bundesmuseen einen verhandelbaren Kollektivvertragsentwurf in die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst eingebracht hat und dieser seit Sommerbeginn darauf wartet, dass sich Dr. Josef Ostermayer einmal Zeit zum Lesen nimmt.

Quelle: Die Alternative

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