Nun haben auch die Grünen ihre Vorschläge für eine Steuerreform präsentiert, die diese Bezeichnung auch verdient. Das Modell hebt sich dabei wohltuend von bisher präsentierten Modellen ab.

Kurz vor dem Sozialdemokratischen Parteitag im Herbst 2014 stellte Stefan Schulmeister in einem „FALTER“-Kommentar die Frage auf, was denn eine Steuerreform angesichts der Hartnäckigkeit der Krise, hoher Arbeitslosigkeit, steigender Ungleichheit und Verschärfung ökologischer Probleme so können sollte.

Schulmeister umriss in einer Antwort die Heraus­forderungen:

  1. Eine Steuerreform muss die Inlandsnachfrage zur ­Belebung der Wirtschaft und zur Senkung der Arbeits­losigkeit nachhaltig erhöhen.
  2. Eine Steuerreform muss weiter die Minderung der Ungleichverteilung bei Einkommen und Vermögen zum Ziel haben
  3. Eine Steuerreform muss sicherstellen, dass die Finanzierungsbasis staatlicher Leistungen sowie notwendiger öffentlicher Investitionen – etwa im Umwelt-, Sozial- und Bildungsbereich – gewährleistet bleibt.

In seinem Beitrag kommt Schulmeister zum Schluss, dass das Modell der Arbeiterkammer und des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (das inzwischen von der SPÖ übernommen wurde) diesen Zielsetzungen nur ­unzureichend beziehungsweise nicht gerecht wird.

Niedrige Einkommen würden nicht ausreichend entlastet, wodurch keine nachhaltige Erhöhung der Inlands­nachfrage zustande käme, kritisiert etwa der bekennende Keynesianer. Dagegen würden obere Einkommens­bezieher­Innen unverhältnismäßig begünstigt, was lediglich deren Sparquote erhöht.

Aus konjunkturpolitischen Gründen „rausgeschmissenes Geld“, so Schulmeister. Gefährdet sieht er auch die Finanzierungsbasis des Sozialstaates sowie notwendiger Investitionen – so zum Beispiel in den Bereichen Pflege, Klimaschutz und Bildung.

Ähnlich kritisch auch der Sozialexperte Hans Steiner in einem Kommentar im STANDARD vom 19. Dezember 2014. Auch er diagnostiziert bei den AK/ÖGB/SPÖ-Vorschlägen eine eklatante verteilungspolitische Schieflage und die Begünstigung einkommensstarker Gruppen. Zusätzlich verstärkt würde diese Schieflage noch, würde sich die Österreichische Volkspartei mit ihrer Ablehnung von ­Vermögenssteuern durchsetzen. Und auch Steiner sieht die Finanzierungsbasis des Wohlfahrts­staates durch eine Steuerreform, die vor allem auf eine Steuerentlastung und weniger auf eine Steuerstrukturreform abzielt, gefährdet. Kritikpunkte, die auch seitens der Unabhängigen Gewerk­schafterInnen und der AUGE/UG am AK/ÖGB-Steuer­modell geäußert wurden und zu einer Ablehnung des Gesamtkonzepts führten. Nun haben auch die Grünen ihre Steuervorschläge präsentiert. Und es ist das mit Abstand beste Steuermodell, das bislang vorgestellt wurde. Und es ist das einzige bisher präsentierte Modell, das den von Schulmeister formulierten Herausforderungen an einer Steuerreform in Krisenzeiten tatsächlich gerecht wird.

Endlich eine Steuer-STRUKTUR-Reform

Ja, tatsächlich: endlich! Endlich geht’s in einem Konzept nicht nur um „Steuern runter“ und ein gegen­seitiges Übertrumpfen hinsichtlich des Volumens der Steuersenkung. Endlich werden die Probleme in einem Konzept tatsächlich benannt: Dass nämlich nicht die „Steuern zu hoch“ seien, oder es ein „Ausgaben- aber kein Einnahmenproblem“ gebe. Im Grünen Konzept wird klar angesprochen, worum es geht:

  • Dass das Steuersystem nämlich darum in hohem Maße ungerecht ist, weil es trotz extrem ungleicher Vermögensverteilung und Vermögenskonzentration, keinerlei entsprechende Besteuerung gebe.
  • Dass gleichzeitig Einkommen aus Arbeit unverhältnismäßig hoch besteuert ist.
  • Und dass es eben genau deswegen eine Steuerstruktur­reform braucht, die ArbeitnehmerInnen entlastet und im Gegenzug Vermögen besteuert.

Was will nun das grüne Modell „90/10“?

  • Erwerbseinkommen sollen entlastet, Vermögen im Gegenzug besteuert werden
  • Neunzig Prozent der Steuerpflichtigen profitieren vom Modell, die reichsten zehn Prozent finanzieren die Steuerentlastung für Arbeitseinkommen. Dabei fällt auf das reichste Prozent ungefähr fünfzig Prozent der Finanzierung der Entlastung.

Das Entlastungsvolumen beläuft sich auf – und auch das hebt sich von den sich gegenseitig über­bietenden politischen KonkurrentInnen ab – realistisch gegenfinanzierbare vier Milliarden Euro.

Der grüne Tarif

Hinsichtlich des vorgeschlagenen Steuertarifs zielen die Grünen insbesondere auf die Stärkung unterer und mittlerer Einkommen ab. Weil kleine Einkommen von Tarif­reformen allerdings nicht, beziehungsweise zu wenig ­profitieren und Reformen, die auf eine Absenkung unterer Steuerstufen abzielen, immer überproportional GutverdienerInnen zugute kommen, wollen die Grünen statt einer Negativsteuer eine lineare Einschleifregelung der Sozialversicherungs-Beiträge:

  • Den Einstiegssteuersatz wollen die Grünen auf dreißig Prozent senken. Eine Senkung auf 25 Prozent ist nicht nur außerordentlich teuer – kostet rund fünf Milliarden Euro – sondern kommt unverhältnis­mäßig stark einkommens­starken Gruppen zugute. Mit einer Absenkung auf 25 Prozent wäre der finanzielle Spielraum für eine Stärkung der untersten Einkommensgruppen deutlich eingeschränkt. Dafür schieben die Grünen die steuerliche Bemessungsgrundlage von 11.000 auf 12.000 Euro (entspricht einem Bruttojahreseinkommen von 13.000 beziehungsweise 14.100 Euro).
  • Für niedrige Einkommensgruppen von 500 bis 1530 Euro (Monatseinkommen) sehen die Grünen eine Einschleif­regelung bei den Sozialversicherungs-Beiträgen vor. Diese soll die Negativsteuer ersetzen und automatisch ausbezahlt werden. Sozialversicherungspflichtige ArbeitnehmerInnen bekommen abhängig von der Höhe ihres Einkommens linear ihren Anteil an Sozialversicherungs-Beiträgen zurückerstattet. Bei der untersten Einkommensgrenze – also bei fünfhundert Euro – werden null Prozent Beiträge geleistet, ab 1530 Euro der volle Anteil. Der Ausfall für die Sozialversicherungen wird aus dem Steueraufkommen ersetzt. Die Arbeitgeberbeiträge sind gänzliche abzuführen. Die sozialrechtliche Absicherung ist damit jedenfalls gewährleistet. Zusätzlich wollen die Grünen die Höchstbeitragrundlage in der Krankenversicherung auf 5500 Euro erhöhen, um den aus Steuermitteln zu finanzierenden Ausfall für Sozialversicherungs-Beiträge in Grenzen zu halten.
  • Mit diesen Maßnahmen – Einschleifregelung bei den Sozialversicherungs-Beiträgen und Absenkung des Einstiegssteuersatzes – werden sehr niedrige Einkommen um bis zu vierzehn Prozent entlastet. Die Entlastung – und damit Kaufkraftstärkung – bei den niedrigen Einkommensgruppen liegt damit deutlich über jener im AK/ÖGB-Modell. Da gerade Frauen (insbesondere auch als Teilzeitbeschäftigte) über­proportional in diesen Einkommensgruppen zu finden sind, profitieren diese besonders von den Grünen Steuervorschlägen.
  • Ab 12.000 Euro Bemessungsgrundlage ziehen die Grünen einen Steuersatz von dreißig Prozent ein, von 22.001 bis 30.000 Euro sieht das Modell einen Steuersatz von vierzig Prozent vor, von 30.001 bis 60.000 Euro schließlich von 45 Prozent. Den Spitzensteuersatz von fünfzig Prozent belassen die Grünen – im Unterschied zu allen anderen – bei 60.000 Euro. Damit verweigern sich die Grünen einem zusätzlichen, teuren (rund 200 Millionen Euro) Steuer­geschenk an die reichsten rund zwei bis drei Prozent (!) aller EinkommensbezieherInnen. Auch das ist erfreulich.
  • Mittlere Einkommen (rund um das Medianeinkommen von etwa 2300 Euro/brutto bei Frauen, etwa 2800 Euro brutto Männer bei Vollzeit) erleben so eine Entlastung von rund vier Prozent oder ungefähr siebzig Euro monatlich.
  • Die Entlastung hoher Einkommen (Top zehn Prozent, Frauen ab 3291 Euro brutto, Männer ab 4868 Euro im Monat) fällt dagegen von knapp 3,5 Prozent (bei 3300 Euro) auf unter 0,5 Prozent bei achttausend Euro im Monat.

Grünes Modell umFAIRteilt besser

Bei den untersten und bei den höchsten Einkommen zeigt sich auch am stärksten der Unterschied zwischen dem Grünen und dem AK/ÖGB-Modell: Während im ­Grünen Modell bei einem geringeren Entlastungsvolumen insgesamt ArbeitnehmerInnen mit einem Monatsein­kommen von eintausend Euro jährlich eine Steuerersparnis von knapp 698,92 Euro erfahren, gewinnen dieselben Beschäftigte im AK/ÖGB-Modell nur 340 Euro. Und während SpitzenverdienerInnen von achttausend Euro monatlich beim AK/ÖGB-Modell 3140 Euro an Steuerersparnis gewinnen, sind es im Grünen Modell nur noch 295,39 Euro.

Hinsichtlich der Verteilungswirkung bei der Entlastung von ArbeitnehmerInneneinkommen schneidet das Grüne Modell – bei einem gesamt geringeren Entlastungsvolumen (Grüne vier Milliarden Euro, AK/ÖGB 5,9 Milliarden) besser ab. Hinsichtlich der konjunkturellen Wirkung ist das Grüne Modell aufgrund der deutlichen Stärkung niedriger Einkommen dem AK/ÖGB-Modell ebenso überlegen.

Vermögensbesteuerung, sehr gut, aber …

Im Gegensatz zum AK/ÖGB-Modell ist die Grüne ­Einkommensteuerentlastung nicht zu gerade einmal einem Drittel, sondern zum überwiegenden Teil aus Vermögenssteuern finanziert.

  • Die Grünen wollen eine reformierte Erbschafts- und Schenkungssteuer wiedereinführen, wobei ein Steuerfreibetrag von fünfhunderttausend Euro gilt – allerdings nicht pro Erben, sondern für das Gesamt­erbe (abzüglich Schulden). Das trifft die reichsten zehn Prozent der Haushalte, bringt allerdings ein deutlich höheres Aufkommen als Erbschaftssteuermodelle mit hohen Freibeträgen pro Erbin, wie sie etwa AK, ÖGB und SPÖ vorsehen. Kurzfristig soll ein derartiges Erbschaftssteuermodell rund 1,5 Milliarden, mittelfristig bis zu zwei Milliarden Euro bringen.
  • Ein Erbersatzsteuer auf Privatstiftungen nach deutschem Vorbild (jährlich wird 1/30 des Stiftungs­vermögens „fiktiv“ erbschaftsbesteuert) soll jährlich bis zu einer Milliarde Euro bringen.
  • Eine Reform der Grundsteuer (Heranführung der Einheitswerte an Verkehrswerte, progressive Besteuerung, um „kleine Häuselbauer“ nicht stärker zu belasten als bisher, unterschiedliche Steuer­sätze von bebauter und unbebauter Fläche, keine Weiterverrechnung der Grundsteuer über Betriebs­kosten) deren Mehraufkommen der Gegenfinan­zierung der Steuerreform dienen soll, bringt geschätzte ­siebenhundert Millionen Euro.

In Summe würden diese Maßnahmen im Bereich vermögensbezogener Steuern Einnahmen von bis zu 3,7 Milliarden Euro – der Löwenanteil der Steuerentlastung – bringen. Was allerdings im grünen Konzept fehlt, ist eine allgemeine Vermögenssteuer beziehungsweise eine – auch von den Grünen schon geforderte – zeitlich befristete Vermögensabgabe, auch wenn die grüne Erbschafts- und Schenkungssteuer hinsichtlich Steueraufkommen und Modell einer Vermögenssteuer recht nahe kommt.

Alleine aus einer Vermögenssteuer – bei aller Schwierigkeit der Umsetzung – wäre ein Aufkommen von bis zu zwei Milliarden Euro lukrierbar. Nicht zuletzt aus Gründen der Stabilisierung des Finanzsystems (Abschöpfung potentiell spekulativer Masse über Vermögenssteuern / -abgaben) beziehungsweise zur Finanzierung der Banken- und damit Vermögensrettung, wäre eine allgemeine Vermögenssteuer / -abgabe notwendig, gerecht und sinnvoll. Warum die ­Grünen auf diese verzichten, bleibt unverständlich.

Weitere Maßnahmen

Aus der Streichung von Begünstigungen im Steuerrecht – insbesondere solchen, die umweltschädigend wirken (zum Beispiel bei Firmen-PKW) oder nicht nachvollziehbare Privilegien für bestimmte Gruppen darstellen (zum Beispiel Grundsteuerbefreiung der Kirche) – wollen die Grünen insgesamt bis zu einer Milliarde Euro lukrieren. In dieser einen Milliarde Euro befindet sich auch ­beschäftigungspolitisch kontra­produktiv wirkende Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Über­stunden, oder die steuerliche Förderung der privaten ­Pensionsvorsorgeinstrumente.

Ebenfalls bis zu einer Milliarde Euro erwarten sich die Grünen – wie auch Arbeiterkammer, Gewerk­schafts­bund und Sozialdemokratische Partei – aus effizienten Maß­nahmen zur Steuer­betrugs­bekämpfung und Maßnahmen gegen „aggressive Steuerplanung und Gewinnverschiebung“ (sprich Steueroasen), sowie bei Umsatz­steuerbetrug. Die fünfhundert Millionen Euro, welche die Grünen aus Kürzungen bei Förderungen im Wirtschafts­bereich beziehungsweise bei Doppelförderungen lukrieren wollen, ­wirken dagegen etwas optimistisch.

In Summe ergäben Vermögenssteuern und Maßnahmen gegen Steuerbetrug, ungerechtfertigte Subventionen und fragwürdige Steuerbegünstigungen ein Volumen, das nicht nur die Steuerentlastung bei Arbeit gegenfinanziert, sondern auch finanzielle Spielräume für notwendige Investitionen in Bildung, Soziale Dienste und Klimaschutzmaßnahmen lässt. Womit eine weitere Schulmeistersche und Steinersche Forderung an eine Steuerreform in Krisenzeiten erfüllt wäre – dass nämlich ausreichend Mittel für notwendige Ausgaben und zur Sicherung des Sozialstaates gewährleistet sind.

Ökologisierung des Steuersystems

Bleibt zuletzt die von den Grünen geforderte aufkommensneutrale Ökologisierung des Steuersystems („öko­soziale Steuerreform“) als wesentliches Element einer Steuerstrukturreform. Mit einer Ökologisierung des ­Steuersystems soll Arbeit entlastet, Umweltverbrauch im Gegenzug stärker belastet werden.

Mit dieser Umschichtung sollen steuerpolitische Anreize für umweltfreundliches Verhalten, mehr Beschäftigung und eine sozial-ökologische Transformation unseres ­Wirtschaftssystems gesetzt werden. In einem ersten Schritt soll die LKW-Maut auf alle Bundesstraßen ausgedehnt, die Mineralölsteuer auf Diesel jener auf Benzin angeglichen und stufenweise eine CO₂-Abgabe eingeführt werden.

Im Gegenzug sollen die Unternehmen bei den Lohn­nebenkosten (zum Beispiel Senkung der Kommunal­abgabe, gegenfinanziert über höhere Energiesteuern), Haushalte über einen „Ökobonus“ in Rahmen der ArbeitnehmerInnenveranlagung oder als Transferleistung entlastet werden.

Ein Teil des Aufkommens aus Ökosteuern soll für Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen, soziale Härtefälle und umweltfreundliche Mobilität aufgewendet werden. In einem ersten Schritt werden so zwei Milliarden Euro an Steuern von Arbeit hin zu Umweltverbrauch umgeschichtet, in einem zweiten Schritt bis zu vier Milliarden.

Konklusio: Steuerreform geht auch anders

Das von den Grünen vorgestellte Modell erfüllt als ­bisher einziges Steuerkonzept tatsächlich die Ansprüche an eine Steuerstrukturreform – weg von der zu hohen steuerlichen Belastung von Arbeit hin zu Vermögen, ­Kapital und Umweltverbrauch. Es wird dabei hinsichtlich des Entlastungsvolumens, der konjunkturellen Wirkung und der Verteilungseffekte der Krisensituation und den budgetären Restriktionen gerecht und lässt ausreichend Spielraum für nachhaltig wirkende, sozial und ökologisch verträgliche Investitionen. Nicht zuletzt finden sich im Grünen Steuermodell zahlreiche Forderungen und Positionen, wie wir sie als AUGE/UG und UG im Rahmen der Steuerreformdebatte und als Kritik am AK/ÖGB-Steuer­modell eingebracht und geäußert haben, wieder. Und das ist zusätzlich erfreulich.

Quelle: Die Alternative

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