Warum die Spaltung des ÖGB eine denkbar schlechte Idee und Gewerkschafts-Mitgliedschaft eine wichtige Sache sind.
Am Ersten Mai, dem internationalen Kampftag der ArbeiterInnenklasse, veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „profil“ ein Interview mit dem ÖGB-Präsidenten Erich Foglar, in dem er „einen anderen Umgang mit der FPÖ“ einforderte und eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht ausschließen wollte. Als SPÖ-Mitglied kann Foglar natürlich sagen was er will.
Berechtigt kritisiert wurde Foglar aber vor allem deswegen, weil er dieses Interview als ÖGB-Präsident gab und in dieser Funktion den ÖGB nach außen repräsentiert. Die Folge waren sogar Gewerkschaftsaustritte und vereinzelte Aufrufe „zu spalten“.
Warum das eine denkbar schlechte Idee ist und Gewerkschaftsmitgliedschaft eine wichtige Sache ist.
ÖGB „spalten“?
Dem ÖGB wurde als freiwilliger Interessenvertretung die Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt. Das ist ein wesentliches „Kerngeschäft“ der Gewerkschaftsarbeit in Österreich. Etwa 97 Prozent aller ArbeitnehmerInnen fallen in Österreich unter Kollektivverträge, damit spielt der Gewerkschaftsbund eine wesentliche Rolle in der Mitgestaltung des sozialen- und wirtschaftlichen, aber auch politischen Lebens in Österreich.
Die Kollektivvertragsfähigkeit (Arbeitsverfassungsgesetz Paragraph 4) prüft das Bundeseinigungsamt und erteilt diese auf Antrag nach Anhörung der zuständigen gesetzlichen Interessenvertretungen. (Arbeitsverfassungsgesetz Paragraph 5). Ein wichtiges Kriterium ist unter anderem, ob eine freiwillige Berufsvereinigung aufgrund ihrer „Zahl der Mitglieder und des Umfanges der Tätigkeit“ eine “maßgebende wirtschaftliche Bedeutung“ hat.
Eine „Spaltung“, wie das vereinzelt vorgeschlagen wurde, könnte bedeuten, dass der kleinere Teil daher kollektivvertragsunfähig wird. Die davon betroffenen GewerkschafterInnen würden damit auf eine wesentliche, für die Gewerkschaftsarbeit in Österreich maßgebende Rolle im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Gefüge in der Gesellschaft verzichten.
Aber es würde nicht nur die Aufgabe der bestimmenden Rolle bedeuten, es könnte auch die hohe Kollektivvertragsabdeckung (für 97 Prozent aller ArbeitnehmerInnen gilt ein Kollektivvertrag) gefährden. Wohin das führen kann, erleben wir in Deutschland, wo nur noch 50 Prozent aller ArbeitnehmerInnen einen Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld besitzen.
Wirtschaftliche und soziale Existenzen von Millionen Menschen sind von Kollektivverträgen abhängig, diese dürfen und sollen nicht mutwillig gefährdet werden. Vor allem dürfen sie nicht denen überlassen werden, die – aus Sicht der KritikerInnen – eine falsche gewerkschaftspolitische Position einnehmen. Eine Abspaltung kommt daher nicht infrage.
Die Gewerkschaftsarbeit
Kollektivverträge werden nicht vom ÖGB ausverhandelt, der ist die Dachorganisation der Fachgewerkschaften, sondern von den Fachgewerkschaften. Beziehungsweise von institutionalisierten Gruppen innerhalb der Fachgewerkschaften (in der GPA-djp sind das die Wirtschaftsbereiche, in der Pro-Ge die Branchenausschüsse), die sich aus BetriebsrätInnen und betreuende GewerkschaftssekretärInnen zusammensetzen.
Die Erfahrung zeigt, dass innerhalb dieser Wirtschaftsbereiche beziehungsweise Branchenausschüsse ein sehr kollegiales Verhältnis vorherrscht, unabhängig, bei welcher Gewerkschaftsfraktion jemand ist. Eigene Ideen können verwirklicht werden, es gibt Unterstützung. Die BetriebsrätInnen sind bei den Kollektivvertragsverhandlungen, trotz unterschiedlicher Sichtweisen und Positionen, über alle Fraktionen solidarisch. Die Freiheitlichen Arbeitnehmer (FA) spielen in der Gewerkschaft und vor allem bei den Kollektivvertragsverhandlungen kaum eine Rolle.
Wenn allerdings der ÖGB-Präsident ein Interview gibt, dann vertritt er damit den ÖGB nach „Außen“. Das mag zu politischen Differenzen führen und zu berechtigter Kritik, wie im Beispiel der Aussagen zur FPÖ, aber es ist ein minimaler Teil gewerkschaftlicher Arbeit. Maßgebend für Gewerkschaftsarbeit sind die Kollektivvertragsverhandlungen und die Unterstützung der Fachgewerkschaften und deren GewerkschaftssekretärInnen für die Betriebsräte, Bildungsarbeit und die Unterstützung der Mitglieder und vieles mehr.
Wer eine „Spaltung“ des ÖGB fordert, fordert diese wichtige gewerkschaftliche Arbeit aufzugeben, die es unabhängig von eventuellen Positionierungen des ÖGB-Präsidenten und anderen FunktionärInnen gibt. Die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer verhandeln Jahr für Jahr milliardenschwere Kollektivverträge zugunsten aller ArbeitnehmerInnen und erkämpfen jedes Jahr hunderte Millionen Euros durch Intervention, Gerichtsprozesse und Sozialpläne für ihre Mitglieder. Es kann nicht Ziel sein, diese weltweit beispiellose Errungenschaften zu gefährden.
Austritt aus dem ÖGB?
Aufgrund des Interviews des ÖGB-Präsidenten Foglar im „profil“, gab es massive Kritik von Gewerkschaftsmitgliedern und sogar Austritte. Es bleibt natürlich allen selbst überlassen, aus dem ÖGB auszutreten, dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass eine Gewerkschaft mehr ist, als ein herkömmlicher Verein. Durch die Kollektivvertragsfähigkeit ist der ÖGB wohl die wichtigste Institution der ArbeitnehmerInnen in Österreich. Intern dem Ärger Luft machen ist auch ok.
Der ÖGB ist eine starke Gemeinschaft mit über 1,2 Millionen Mitgliedern und erkämpft jährliche Lohn- und Gehaltserhöhungen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind nicht gesetzlich geregelt, das haben die Fachgewerkschaften in Kollektivverträgen ausverhandelt. Und der ÖGB beziehungsweise die Fachgewerkschaften bieten kostenlosen Rechtsschutz in arbeitsrechtlichen Streitfällen an.
Wer starke Gewerkschaften will, die Arbeitsbedingungen verbessern und Errungenschaften verteidigen können, der schwächt sie nicht, sondern stärkt sie, führt aber auch die Diskussion um die politische Ausrichtung.
Von Stefan Steindl.
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„Die Gewerkschaften sind das Stärkste, das die Schwachen haben.“
Michael Sommer, Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (2002 bis 2014)
Quelle: Die Alternative