Wer war die Frau, der man – immerhin – einen Sitzungssaal im neuen ÖGB Gebäude im zweiten Wiener Gemeindebezirk gewidmet hat? Darauf gibt es eine kurze und eine lange Antwort.
Die kurze lautet: eine der faszinierendsten Frauen der österreichischen Sozialdemokratie. Die lange folgt mit einem kurzen Portrait.
Als Kind eines Eisenbahners musste sie schon mit 9 Jahren die Schule abbrechen und nach dem Tode ihres Vaters Fabriksarbeit leisten. Und zwar eine von der Sorte, die man – höflich formuliert – als ziemlich gesundheitsgefährdend bezeichnen kann. Sie arbeitete in einer Galvanisierungswerkstätte, einer Mundharmonikafabrik und einer Perlenbläserei.
Eine Lehre in einer „Chinasilberfabrik“ musste sie wegen ihrer schlechten Augen abbrechen. Vielleicht war das auch gut so, denn die Umgebung in der sie arbeitete, war für eine Neunjährige nicht unbedingt als gut zu bezeichnen. ArbeitnehmerInnenschutz gab es damals ja noch nicht, dies änderte sich auch durch den investigativen Artikel von Parteigenossen Viktor Adler – er schrieb über die Zustände bei der Wienerberger Ziegelfabrik – nur langsam. Arbeiter waren damals billige Produktionskräfte, Arbeiterinnen die noch billigere und vor allem meist rechtlose Variante dieser modernen Form von Sklaverei.
Anna Boschek, die danach in die Ottakringer Trikotfabrik wechselte, nahm diese Zustände nicht hin und begann sich politisch zu betätigen. Eine große Hilfe und Stütze fand sie in ihrem Vormund Anton Hueber, seines Zeichens Gewerkschaftssekretär der „Reichsgewerkschaftskommission von Cisleithanien“ – damit gemeint ist die österreichische Reichshälfte nach dem Ausgleich mit Ungarn 1867. Diese „Kommission“ war eine sozialdemokratische, freie Gewerkschaft und war Vorläufer der heutigen Gewerkschaften. Die Kommission wurde 1892 gegründet, ein erster Kongress fand im Jahr darauf statt. Anton Hueber war seit 1895 der Sekretär dieser Kommission.
Auch Anna Boschek war seit den 1890er Jahren in der „Kommission“ vertreten und es gelang ihr, den Frauenanteil beträchtlich zu heben. Bereits 1905 waren über eine halbe Million ArbeiterInnen in dieser Gewerkschaft organisiert. Aber Anna Boschek war noch mehr: Seit 1890 war sie als erste Frau im Vorstand der SDAP und damit in alle richtungsweisenden Entscheidungen der Partei mit eingebunden. Für die damaligen politischen Verhältnisse geradezu ein epochales Ereignis. Ebenso epochal war ihre hauptberufliche Tätigkeit in der Gewerkschaft, welche sie von 1894 bis zu ihrer Berufung in die Nationalversammlung 1919 ausübte.
Durch ihre Arbeit wurde sie auch Gewerkschaftsmitglied bei den TextilarbeiterInnen und engagierte sich erfolgreich im Arbeiterinnen-Bildungsverein. Diese Arbeit trug schon bald Früchte, immer mehr Frauen begannen sich politisch zu betätigen und sich – auch gegenüber den männlichen Genossen – zu emanzipieren. Die bis dahin Gültigkeit habende Beschränkungsklausel für Frauen in der Gewerkschaft fiel bald. Sie verschafften sich langsam Gehör im politischen Leben der untergehenden Donaumonarchie.
Nach dem Untergang der Monarchie war sie von 1919 bis 1934 Abgeordnete in der Nationalversammlung bzw. des Nationalrates. In dieser Funktion kämpfte sie für die Rechte der Frauen und hatte maßgeblichen Anteil an vielen neuen Gesetzen, wie das Haushaltsgehilfinnengesetz oder das Nachtarbeitsgesetz für Frauen. Ebenso engagiert war sie – gemeinsam mit Ferdinand Hanusch – beim Ruf nach Gründung einer Arbeiterkammer, sie war auch Mitverfasserin vieler sozialrevolutionärer Gesetze.
Der Acht-Stunden-Tag trägt ihre Züge, ebenso wie die Forderung nach Ruhezeiten und die Einrichtung einer Gewerbeaufsicht. Diese war vor allem in den immer noch frauendominierten Berufen dringend vonnöten, hatte sich doch nach dem Kriege die allgemeine Situation der ArbeiterInnen nur unwesentlich gebessert.
In ihrer parlamentarischen Mitarbeiterin Käthe Leichter fand sie eine kongeniale Partnerin bei der Verwirklichung ihrer Forderungen. 1934 endete ihre politische Karriere abrupt, nach den Februarkämpfen wurde sie verhaftet und für acht Wochen in der Rossauer Lände (damals noch Elisabethprommenade) eingekerkert. Nach ihrer Entlassung stand sie unter polizeilicher Aufsicht und durfte sich nicht mehr politisch betätigen. Sie tat es trotzdem und gehörte zu jener Gruppe von SozialdemokratInnen die sich regelmäßig im Haus von Amalie Seidel trafen. Über diese faszinierende Frau wird in einem weiteren Artikel berichtet werden.
Sie überlebte Ständestaat und Nationalsozialismus und blieb bis zu ihrem Tode 1957 der Sozialdemokratie verbunden, übernahm allerdings keine politischen Ämter mehr.
2002 wurde in der Davidgasse 76 in Wien Favoriten eine Wohnhausanlage nach ihr benannt und im Katamaran des ÖGB gibt es eingangs erwähnten Raum.