Arbeitszeit: Neue Formen der Arbeitsorganisation, zunehmende Arbeits- und Leistungsverdichtung, der Wandel von Hierarchien und Führungsstilen, zeitliche und räumliche Entgrenzung der Arbeit – alle diese Faktoren sind bereits heute in unterschiedlicher Ausprägung Realität in vielen Unternehmen. Und sie verändern auch die individuellen Ansprüche, die wir Bedienstete an unsere Arbeit stellen.

Megatrends wie der Demografische Wandel, Digitalisierung, der zunehmende globale Wettbewerb, Individualisierung sowie neue Kommunikations- und Produktionsprozesse sind nicht nur eine Herausforderung für die Gesellschaft insgesamt, sondern wirken sich auch unmittelbar auf unsere Arbeitswelt aus. Dienstgeber*innen, die das schon erkannt haben und darauf eingehen, haben keine oder zumindest deutlich weniger Probleme mit Personalmangel. Zu den Maßnahmen zählen bessere Arbeitsbedingungen, wie höhere Löhne und Gehälter, attraktive und planbare Arbeitszeiten, neue Modelle in der Arbeitswelt sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Bei der Gemeinde Wien wird es jedoch von Jahr zu Jahr schwieriger, neue Mitarbeiter*innen für die Daseinsvorsorge der Wiener Bevölkerung zu finden. Zum einen ist der Markt wegen des Fachkräftemangels leergefegt, zum anderen haben potenzielle Kandidat*innen hohe Ansprüche. Bei ihnen steht neben einem hohen Gehalt vermehrt eine gute Work-Life-Balance im Fokus.

Die Stellen, die die Stadt Wien zukünftig anbieten sollte, müssen demnach mehr als nur ein Arbeitsplatz sein. Besonders junge Bewerber*innen wünschen sich, dass ihr Job in einem sympathischen Umfeld stattfindet und dass die Tätigkeiten mit einem Sinn verbunden sind. Ebenso wollen sie keinem Nine-to-Five-Job nachgehen. Die Forderungen nach flexiblen Arbeitsmodellen und variablen Arbeitszeiten nehmen zu.

In vielen Bereichen wäre eine flexiblere Handhabung der Arbeitszeit, sowohl im Interesse des Dienstbetriebes als auch im Interesse der Bediensteten, wünschenswert – wichtig ist aber die Berücksichtigung der sozialen Interessen der Arbeitnehmer*innen. Eine einseitige Flexibilisierung der Arbeitszeit durch die Dienstgeberin lehnen wir ab. Flexibilisierung muss auf Gegenseitigkeit beruhen.

Die Erfahrung bei der Stadt Wien zeigt allerdings, dass der verstärkte Druck seitens des Managements immer mehr die Rechte der Beschäftigten einschränkt. Die Akzeptanz einer flexiblen Arbeitszeit wird entscheidend durch eine Interessensabwägung beeinflusst und diese kann nur durch abgesicherte Rechte auf Mitwirkung und Gestaltung der Arbeitszeit durch die Beschäftigten erreicht werden.

Flexible Arbeitszeiten: Welche Vorteile haben sie für Arbeitgeber*innen?

Ausgehend von einer wissenschaftlichen Studie über Arbeitszeitmodelle im internationalen Vergleich sollen Richtlinien für die Flexibilisierung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst erarbeitet werden, in denen sowohl die Sicherstellung des Serviceangebotes für die Bevölkerung, als auch die Arbeitszufriedenheit der Bediensteten ausreichend Berücksichtigung finden.

Wenn die Dienstgeberin vom System der starren Arbeitszeiten abweicht und sich neuen Ideen öffnet, kann sie davon mehrfach profitieren. Zu den Vorteilen gehören beispielsweise diese Aspekte:

  • Die Mitarbeiter*innen verstehen, dass es nicht um die Arbeitszeit an sich geht. Vielmehr steht im Fokus, Ziele und Vorgaben zu erledigen. Das spornt an, unbekannte Wege einzuschlagen. Wege, die effizienter und schneller sind, aber trotzdem das gleiche Ergebnis liefern – oder sogar ein besseres.
  • Das Kind morgens entspannt in Kindergarten oder Schule zu bringen, in der Mittagspause eine Runde joggen oder nachmittags einen Termin bei der Ärztin wahrnehmen: Durch die Einführung von flexible Arbeitszeiten können die Mitarbeiter*innen ihre Tage stressfreier gestalten. Das nimmt auch einen gewissen Druck aus der Arbeit heraus.
  • Ein großer Stressfaktor stellt die Pendelei zur Arbeitsstelle dar. Mit flexiblen Arbeitszeitmodellen gelingt es den Mitarbeiter*innen, antizyklisch zu fahren. Auch das zahlt auf eine entspannte Arbeitsatmosphäre ein. Und der reduzierte Pendelstress steigert die Motivation.
  • Zufriedene Mitarbeiter*innen sind seltener krank. Und sie geben gerne mal zwischendurch „Vollgas”, wenn eine wichtige Deadline ansteht.

All diese Punkte können dafür sorgen, dass die Stadt Wien als Arbeitgeberin attraktiver wird.

Zudem würden junge Mitarbeiter*innen länger im Dienst bleiben. Das senkt die zeitlichen Aufwände und Kosten im Bereich des Recruitings und den permanenten Personalmangel.

Flexible Arbeitszeitmodelle können dafür sorgen, dass die Stadt Wien als Dienstgeberin attraktiver wird

Flexible Arbeitszeitmodelle können dafür sorgen, dass die Stadt Wien als Dienstgeberin attraktiver wird

Flexible Arbeitszeitmodelle für die Zukunft

Um also die Stadt Wien langfristig als attraktive Dienstgeberin zu etablieren und die Daseinsvorsorge in der Stadt zu gewährleisten, könnten folgende Arbeitszeitmodelle zur Anwendung kommen:

Vertrauensarbeitszeit

Dem New-Work-Gedanken folgend, setzt eine Vertrauensarbeitszeitvereinbarung darauf, dass alle ihre Ziele verfolgen. Die Länge der Präsenz, zum Beispiel in einem Büro, spielt hierbei keine Rolle. Um eine Vertrauensarbeitszeit, auch Vertrauensarbeit oder Vertrauensgleitzeit genannt, einführen zu können, muss es im Unternehmen eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens geben. Ansonsten könnte es zu Verdächtigungen kommen, dass beispielsweise ein/e Dienstnehmer*in faul sei.

Jahresarbeitszeit

Bei diesem flexiblen Arbeitszeitmodell geht es um eine Art Zeitkonto: Die Arbeitgeberin gibt vertraglich keine tägliche, wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit vor, sondern eine Jahresarbeitszeit. Die Mitarbeiter*innen haben bei dieser Form der gestaffelten Arbeitszeit die Möglichkeit, ihre kumulierte Zeit so abzuarbeiten, wie sie es möchten. Sie können zum Beispiel im ersten Halbjahr extrem viel arbeiten, um die zweite Jahreshälfte entspannter anzugehen.

Arbeitszeitverkürzungen

Sind acht Stunden pro Tag wirklich die perfekte Länge, um die Arbeit produktiv zu erledigen? Oder ist ein Sechs-Stunden-Arbeitstag eventuell viel effektiver, da die Mitarbeiter*innen konzentrierter ans Werk gehen? Die Leistungsfähigkeit von Mitarbeiter*innen in 30 Stunden ist nahezu ident einer 40-Stunden-Woche. Das kann darauf zurückgeführt werden, dass sich Konzentration und Leistungsfähigkeit in kürzeren Arbeitsintervallen leichter aufrechterhalten lassen. Auch das Unfallrisiko ist dadurch wesentlich geringer, die Aufmerksamkeit ist höher und die Fehlerquote fällt signifikant. Es kommt zu weniger Arbeitsunfällen, weniger berufsbedingten Erkrankungen (z. B. keine Überforderung von Gelenken und Wirbelsäule auch bei den weniger jugendlichen Mitarbeiter*innen) und einer Verringerung der Burnout-Rate. Bei unter 6 Stunden Arbeitszeit darf auch die Mittagspause wegfallen (die leider bei vielen ohnehin nicht mehr in der vorgesehenen Weise gelebt wird) und die Erholungsfreizeit verlängert sich. Dadurch profitieren die Mitarbeiter*innen und die Dienstgeberin genauso wie der Staat und die Bürger*innen. Es ist eine Prävention gegen Altersarbeitslosigkeit und unterstützt damit auch das Budget und den sozialen Frieden im Land. Zuletzt sorgte eine große Studie zur Arbeitszeitverkürzung aus Groß Britannien für Aufsehen, die zu einem äußerst positiven Ergebnis kam.

Vier-Tage-Woche

Eine weitere Möglichkeit, die Arbeitszeit zu verkürzen, stellt das Modell der Vier-Tage-Woche dar. Auch hier geht es darum, kürzer, aber konzentrierter die Aufgaben abzuarbeiten bzw. die Ziele zu erfüllen. In manchen Ländern, zum Beispiel in Neuseeland und Island, gibt es Experimente zu diesem Arbeitszeitmodell. Die Ergebnisse fallen größtenteils positiv aus: Die Produktivität und die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen erhöhten sich signifikant.

Teilzeitarbeit – neu

Dieses Arbeitszeitmodell ist lange bekannt und wird in vielen Unternehmen gelebt. Unter Teilzeit versteht man die dauerhafte Verkürzung der Arbeitszeit von einzelnen Mitarbeiter*innen im Vergleich zu den Kolleg*innen. Die verkürzte Arbeitszeit kann in Absprache zwischen Dienstgeberin und Mitarbeiter*innen flexibel gestaltet werden. Mitarbeiter*innen arbeiten weniger Tage pro Woche oder Monat, aber bei jeweils voller Stundenzahl. Oder die Mitarbeiter*in reduziert die Stunden pro Arbeitstag. Die Vereinbarung muss aber die Flexibilität für beide Seiten ermöglichen und eine permanente Abrufbarkeit durch die Dienstgeberin darf sich nicht zu einem gefühlt neuen Leibeigenschaftsmodell entwickeln – also ein klares „Vorab Nein“ zu Dienstleistung auf Abruf.

Zeitwertkonto

Das Zeitwertkonto, Lebensarbeitszeitkonto oder Wertguthabenkonto ist ein Modell, bei dem Mitarbeiter*innen ihre Überstunden, Sonderschichten und ungenutzten Urlaubstage sammeln. Nach der sogenannten Ansparphase oder Aktivphase können Mitarbeiter*innen in die Freistellungsphase bzw. Passivphase treten. Die Passivphase nutzen die Zeitwertkonto-Sparer*innen für Erziehungszeiten, die Pflege von Angehörigen, für ein Sabbatical oder für eine Altersteilzeit. Dabei bleiben Mitarbeiter*innen weiterhin sozialversichert und erhalten den vereinbarten Auszahlungsbetrag.

Unbegrenzte Urlaubszeit – eine Zukunftsvision

Manche Start-ups werben mit flexiblen Urlaubsregelungen. Das bedeutet, die Mitarbeiter*innen können so oft und so viel Urlaub nehmen, wie sie es möchten. Auch eine Erfassung der genommenen Urlaubstage fällt in der Regel weg. Um dieses Modell umsetzen zu können, muss es zwischen den Mitarbeiter*innen, den Abteilungen, Teams und der Geschäftsführung ein großes Vertrauensverhältnis geben. Zudem gilt es trotz aller Freiheiten, viel zu organisieren und zu managen. Ein erhöhter Abstimmungsbedarf kann die Folge sein.

Arbeitszeit: Unsere Haltung und Forderungen:

Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit bei der Gemeinde Wien ist wünschenswert und zukunftsorientiert. Sie kann aber kein Ausgleich für zu wenig Personal sein, denn bei zu geringen Ressourcen wird die Flexibilisierung zu einer großen Belastung für die Beschäftigten. Finanzielle Verluste bei Einführung von Arbeitszeitmodellen lehnen wir ab, ebenso wie geteilte Dienste (Fensterdienste), Arbeit auf Abruf und Ähnliches – selbst dann, wenn sie für einzelne Bedienstete im Augenblick nützlich erscheinen.

Wir brauchen eine offene Haltung und eine sozialpartnerschaftliche Herangehensweise zu Lösungsansätzen wie:

  • Vier-Tage-Woche: Hier gibt es unterschiedliche Ansätze, was die Arbeitszeitverteilung betrifft. Es ist hierbei möglich, die maximale Normalarbeitszeit (z. B. 40 Stunden) beizubehalten, oder auch, neben den Arbeitstagen auch die Arbeitszeit selbst zu reduzieren, indem die Mitarbeiter*innen statt 40 oder 38,5 Stunden nur 35 oder 36 Stunden arbeiten.
  • Sommerbonus: Die Mitarbeiter*innen arbeiten in vier Tagen 36 Stunden, das Unternehmen schenkt ihnen die restlichen 2,5 und somit können alle am Freitag zuhause bleiben.
  • Arbeitszeitverkürzung: Eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden in Vollzeit plus 4×30 Minuten Mittagessen – ergibt 34 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich.
  • Neuberechnung der Arbeitszeit hinsichtlich Pensionsanspruch: In Berufsgruppen wie Pflege oder Bildung und Soziales müssen künftig 12 Arbeitsmonate mit dem Wert von 14 auf das Pensionsalterskonto verbucht werden.

Auch im Bereich der Karenz, Teilzeit und Altersteilzeit wäre auf Seiten der Dienstgeberin mehr Flexibilität von Nöten. Momentan sind diese drei Themen Riesenbaustellen in der Stadt, besonders deshalb, weil die Dienstgeberin entscheidet, ob in diesem Gebiet bewilligt wird, da Dienstnehmer*innen keinen Rechtsanspruch darauf haben. Das führt dazu, dass in Bereichen, wo durch ständigen Personalmangel einerseits immer mehr Arbeitsdruck entsteht, andrerseits aber aufgrund des Personalmangels keine Bewilligungen der oben genannten Anliegen erteilt werden, Dienstnehmer*innen lieber kündigen. Und da müssen wir sozialpartnerschaftlich ernsthaft über die Überlegung eines diesbezüglichen Rechtsanspruchs diskutieren.

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