Arbeitsverhältnisse im Betrieb und ihre Rolle beim Wahlverhalten.

Die Landtags-Wahlen in der Steiermark und im Burgenland bescherten der SPÖ und der ÖVP heftige Verluste, während die FPÖ stark zulegte.

Hier soll es aber nicht um die Wahl gehen, sondern um die immer wiederkehrende Behauptung, das Wahlverhalten hänge von der Bildung ab. Entgegen dieser Behauptung spielen hierarchische und autoritäre Arbeitsverhältnisse im Betrieb und in der Wirtschaft eine oftmals unbeachtete Rolle.

Einfache These

Die These ist einfach, anschaulich und scheinbar reicht ein Blick auf die Wahlanalysen. Eine SORA/ISA-Wahltagsbefragung im Auftrag des ORF, über das Wahlverhalten nach formaler ­Bildung, zeigt für die aktuelle Steiermark-Wahl folgendes Bild:

Demnach wählten

  • 42 Prozent der Pflichtschul-AbsolventInnen die FPÖ (1. Platz);
  • 33 Prozent mit einer abgeschlossenen Lehre (1. Platz),
  • 32 Prozent der Absolvent­Innen einer Berufsbildenden Mittleren Schule (1. Platz),
  • aber nur acht Prozent der MaturantInnen (4. Platz)
  • und nur noch vier Prozent der AkademikerInnen die FPÖ.

Solche Wahlanalysen gibt es viele, immer zeigen sie – mit etwas variierenden Zahlen – dasselbe Bild.

Schlussfolgerung unzulässig

Die daraus gezogene Schlussfolgerung wird nur selten deutlich formuliert, aber suggeriert wird: Die (vermeintlich) „schlechter“ Gebildeten sind anfällig für die Hetzparolen der FPÖ, die „gut“ gebildeten durchschauen die Hetze der FPÖ besser.

Diese Schlussfolgerung ist aber unzulässig. Denn wenn auch offensichtlich eine Korrelation zwischen dem Merkmal „Wahlverhalten“ und dem Merkmal „Bildungs­­- grad“ besteht, so darf diese Korrelation nicht mit einer ­kausalen Beziehung verwechselt werden.

Es gibt zwar eine Beziehung zwischen den genannten Merkmalen, aber diese müssen sich nicht beeinflussen. ­Vielmehr spielt der Einstieg in den Arbeitsprozess und die Undemokratie in Betrieb und Wirtschaft eine wesentliche Rolle.

Disziplinierung durch Lohnarbeit

Der Einstieg in das Arbeitsleben für Lehrlinge beginnt meist im Alter von 16 Jahren – in Betriebe, die vielfach nach wie vor Zonen autoritärer Herrschaft sind, mit Eigen­tümer­Innen, ManagerInnen und GeschäftsführerInnen, die sich oftmals als Miniaturausgaben feudaler Herrscher gebärden, mit entsprechendem Alleinherrschaftsanspruch über ihren Bereich – das Unternehmen, den Betrieb, die Dienststelle.

Die Betriebs-Hierarchie ist eindeutig und Widerspruch wird selten geduldet. Wer sich quer stellt, muss um die ­Existenz fürchten. Lohnarbeit ist entschei-­ den­d für die eigene Existenz. Ein drohender Verlust ist mit Existenzängsten ­verbunden. Während es in großen Betrieben einen Betriebsrat oder gar einen Jugendvertrauensrat gibt, sind in Klein(st)­betrieben die Lehrlinge der Willkür der Vorgesetzten ausgeliefert. Beschimpfungen, aber auch physische Bedrohung und auch Übergriffe gibt es häufiger als oftmals angenommen wird.

Aber gerade Erlebnisse in dem Alter haben großen ­Einfluss auf die zukünftige Entwicklung von Menschen. Lohnarbeit diszipliniert und das umso mehr, umso früher der Einstieg in das Arbeitsleben erfolgt. Autorität und ­Hierarchie werden als naturgegeben erlebt („weils schon immer so war“, Erzählungen der Eltern, Großeltern ­verstärken dieses Bild noch).

Der Druck kommt aber nicht nur von Vorgesetzten, er kommt auch aus der eigenen Familie. Viele Lehrlinge ­müssen einen Teil ihres sowieso schon bescheidenen ­Lehrgeldes abgeben. Es ist – notwendiger – Teil des Familieneinkommens. Das Gefühl des „Ausgeliefertsein“, der ­“Ausweglosigkeit“, der Existenzangst wird dadurch ­bestimmendes Element.

52,20 Prozent der Handelslehrlinge sagen laut einer Umfrage der GPA-djp-Jugend, dass ihr Lehrberuf nicht ihr Wunschberuf ist. 27,50 Prozent der Handelslehrlinge haben schon unbezahlt Überstunden geleistet. 47,90 Prozent leisten Überstunden unfreiwillig.

Viele Lehrlinge erdulden das, denn Lehrstellen sind knapp. Die Angst vor Arbeitslosigkeit hoch. 51,20 Prozent der ­Handelslehrlinge geben an, es sei schwer gewesen, eine Lehrstelle zu finden.

Disziplinierung durch Arbeitslosigkeit

Ähnliches gilt für Jugendliche, die als höchste Ausbildung die Pflichtschule absolviert haben. Der Einstieg in das Arbeitsleben erfolgt nicht über eine Lehre, wo es zumindest noch einen gewissen Schutz gibt. Der Einstieg erfolgt ­entweder in prekäre Arbeitsverhältnisse, wo der Druck, die Ausbeutung noch größer sind oder es folgt der Einstieg in die Arbeitslosigkeit.

Die Disziplinierung durch Arbeitslosigkeit ist nicht ­geringer. Der Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup dazu: Das Kapital hat ein Interesse an Arbeitslosigkeit.

„Nichts diszipliniert mehr. Sie diszipliniert sowohl die Arbeitslosen, als auch alle die Arbeit haben, denn sie haben Angst den Job zu verlieren.

Wenn Arbeitskraft im Überfluss vorhanden ist, sinkt automatisch der Lohn. Und es kommt zu anormalen Reaktionen: Denn normalerweise wird weniger Ware angeboten, wenn der Preis sinkt. Am Arbeitsmarkt ist das aber umgekehrt: Hier bieten die Arbeitskräfte mehr Zeit an um ihr Einkommen zu halten. Mit der Folge, dass das Angebot noch größer wird und der Preis immer weiter ­verfällt.

Es entsteht eine ruinöse Konkurrenz – für alle.“

Der zunehmende Druck auf Studierende

Die Situation unter Studierenden ist – noch – eine andere. Der Einstieg in das Arbeitsleben erfolgt deutlich später, und damit auch die Disziplinierung durch Lohnarbeit. Die strenge, unhinterfragbare Hierarchie im Betrieb, von der die eigene Existenz abhängt, wird damit erst später vermittelt und die Hierarchie in Schule und Universitäten ist zwar ebenfalls vorhanden, hat aber deutlich geringere Auswirkungen auf die eigene Existenz.

Aber auch diese Situation hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Der Druck auf Studierende ist deutlich größer geworden. Studieren über die Mindestzeit ist kaum noch leistbar. Immer öfter sind prekäre Arbeitsverhältnisse neben dem Studium die Realität. Bildung wird immer öfters ökonomisiert, gefordert wird ein Funktionieren im Sinne der Wirtschaft.

Andere Länder, andere Sitten

Warum aber – so die berechtigte Frage – gibt es nicht in allen anderen Ländern ebenfalls eine Zunahme von Rechtsextremismus? Rechtsextremismus hat aufgrund der fehlenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus ein breites Potential in Österreich. Rechtsextremismus wird in Österreich gesellschaftlich toleriert.

Aber auch in anderen Ländern zeigt sich die zunehmende Disziplinierung der Gesellschaft. Mit der Liberalisierung der Märkte, mit dem Abbau von Grenzen für Waren, entwickelte sich ein „Standortnationalismus“. Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler, beschreibt den „Standort­nationalismus“ und die Folgen so:

„Der neuere Standortnationalismus ist ein auf die Wett­ökonomie angewandter Sozialdarwinismus, welcher unter Berufung auf „nationale Tugenden“ die Überlegenheit des eigenen Industriestandorts gegenüber anderen Volkswirtschaften einklagt. Er klassifiziert die Rücknahme sozialer Reformen als „Modernisierung“, betreibt eine „Reindividualisierung“ sozialer Risken, worunter Personen mit einem hohen Gefährdungspotential und relativ niedrigem Einkommen am meisten zu leiden haben. Er kommt aus dem Zentrum nicht von den Rändern der Gesellschaft, wobei er die Überzeugung vieler Menschen ausnutzt, einem besonders fleißigen, tüchtigen und intelligenten Volk anzugehören. (…) Die neoliberale Hegemonie (…) verschärft nicht nur die soziale Asymmetrie, sie ist vielmehr auch eine Gefahr für die Demokratie (…) (die) Privatisierung (läuft) auf Entpolitisierung, diese wiederum auf Entdemokratisierung hinaus.“

Die Entpolitisierung der Gesellschaft, deren Entdemokratisierung ist ein in mehreren Ländern zu beobachtendes Phänomen. In Österreich zeigt sich die Zunahme ­reaktionären, undemokratischen Verhaltens im Erstarken des Rechtsextremismus.

Demokratisierung von Betrieb und Wirtschaft

Wer dem Phänomen des Rechtsextremismus begegnen will, der muss die Demokratisierung der Gesellschaft vollenden. Wir verbringen einen großen Teil unseres Lebens in einer autoritär organisierten Arbeits- und Wirtschaftswelt, behaupten allerdings dennoch, in einer „Demokratie“ zu leben. Nun, es ist bestenfalls eine „halbe“ Demokratie.

Ziel muss es sein, den ArbeitnehmerInnen deutlich mehr Mitentscheidungsrechte zu geben. Es sind die Arbeit­nehmer­Innen, die Waren und Dienstleistungen produzieren. Sie haben ein Recht darauf, demokratisch mitzubestimmen wie produziert werden soll und was mit dem erzielten Mehrwert passieren soll. Wer die Produktionsmittel ­demokratisiert, durchbricht die Disziplinierung durch Arbeit und Arbeitslosigkeit und damit die Entdemokrati­sierung der Gesellschaft.

Das mag fantastisch klingen, aber auch nur weil wir ­vergesslich sind. Selbst die Sozialdemokratie war schon einmal so weit: Käthe Leichter, Gewerkschafterin, Gründerin und Leiterin des Frauenreferats der Arbeiterkammer Wien, entwickelte gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Otto Bauer in der Staatskommission für Sozialisierung konkrete wirtschaftliche Alternativen zum Kapitalismus.

Und die österreichische Rätebewegung – mit Beteiligung der Sozialdemokratie – „war ein Produkt des spontanen ­Strebens der sozialen Unterschichten nach unmittelbarer Teilnahme an allen öffentlichen Angelegenheiten“, so die Formulierung des Geschichts-Wiki der Stadt Wien. Diese und neue Ideen sind angesichts des neoliberalen „Terrors der Ökonomie“ nicht nur eine ökonomische Überlebensfrage, sondern auch eine Überlebensfrage für die Demokratie.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen