Arbeitszeitkonten: Oft ist unklar, wer wie auf die angesparte Arbeitszeit zugreifen darf.

(die im Artikel zitierte Literatur finden Sie am Artikelende)

Sie werden als das Allheilmittel für alle Probleme des modernen Arbeitsmarkts und -lebens gepriesen: die Arbeitszeitkonten.

  • Produktivitätssteigerung und Verringerung von Arbeitslosigkeit,
  • flexiblere Arbeitszeiten und größere Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
  • früherer Pensionsantritt und höhere Arbeitsplatzzufriedenheit,
  • krisensichere Arbeitsplätze und höhere Effizienz beim Arbeitseinsatz

– das alles soll durch sie erreicht werden, und die Wirtschaft fordert ihre Einführung auch immer lauter ein.

Unterschiede

Generell wird zwischen Kurzzeit-, Langzeit- und Lebenszeitkonten unterschieden.

  • Kurzzeitkonten
    dienen primär dazu, kurzfristige, saisonale Nachfrageschwankungen (beispielsweise im Baugewerbe) abzufangen und auszugleichen. Negative wie auch positive Abweichungen von der Regelarbeitszeit werden hier bis zu einem bestimmten Höchstbetrag gesammelt und müssen dann innerhalb eines vorgeschriebenen Zeitraums (beispielsweise pro Quartal oder pro Jahr) ausgeglichen werden. Der Ausgleich von Bonusstunden kann entweder in Form von Freizeit oder monetär stattfinden (Heblich 5).
  • Langzeitkonten
    haben – wie der Name schon impliziert – einen längeren Horizont als Kurzzeitkonten und sind damit geeignet, konjunkturbedingte Schwankungen von vier oder fünf Jahren abzufedern. Entsprechend können sich die positiven Zeitguthaben auf 1000 Stunden und mehr belaufen, und es ergeben sich längerfristige bezahlte Freistellungsansprüche, die zusammenhängend genutzt werden können. Mögliche Verwendungszwecke wären Sabbaticals, zeitlich aufwendige Weiterbildungsmaßnahmen, Familienpausen oder auch ein vorübergehender Wechsel in Teilzeit bei unverändertem Grundgehalt (Heblich 6–7).
  • Lebensarbeitszeitkonten
    werden erst zum Ende der Berufstätigkeit ausgeglichen und ermöglichen einen gleitenden Übergang in den Ruhestand im Rahmen von Altersteilzeitregelungen oder auch den sofortigen (vorgezogenen) Ruhestand […] (Heblich 7).

UnternehmerInnen greifen bevorzugt auf Kurzzeitkonten zurück (vergleiche Seifert 2004, 10. Seifert 2010, 503).

Diese bieten ihnen die Möglichkeit, schnell und unkompliziert auf saison- oder konjunkturbedingte Schwankungen in der Auslastung der Beschäftigten zu reagieren und diese punktgenau einzusetzen: Ist die Auftragslage gut, verlängert sich die Arbeitszeit der MitarbeiterInnen.

Die so zusätzlich geleisteten Stunden werden dann auf einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Ist die Auftragslage schlechter, kommen die Leute weniger lange arbeiten und das Konto kann wieder abgebaut werden (vergleiche Heblich 4).

„So werden die Personalkosten dem tatsächlichen Produktionsbedarf angepasst, ohne dass Ein- und Ausstellungskosten anfallen“
(Heblich 4).

Oder, mit gänzlich unpersönlichen, wirtschaftstheoretischen Worten: Durch die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle wie den Arbeitszeitkonten kann man „den tatsächlichen Output dem maximal möglichen Produktionsniveau bei gegebenem Input annäher[n]“ (Heblich 12).

Themen und Probleme

Für die Beschäftigten ergeben sich bei Arbeitszeitkonten vielfältige Themen und Probleme, vor allem was die Verfügbarkeit der angesparten Zeit, die persönliche Arbeitsauslastung und die Absicherung der Konten betrifft.

So haben die Beschäftigten meist keinen freien Zugriff auf ihr angespartes Zeitguthaben (vergleiche zum Beispiel Seifert 2004, 14). Sie können sich also meist nicht aussuchen, ob sie heute mal länger bleiben oder nicht, denn Arbeitszeitkonten sind keine Gleitzeitkonten. Man muss bleiben, da man angewiesen wird zu bleiben. Gleichzeitig können Beschäftigte auch nicht beliebig auf ihre angesparte Zeit zugreifen, zum Beispiel, um einen Urlaub zu verlängern oder eine längerfristige Arbeitspause einzulegen; auch hier bestimmt großteils der Arbeitgeber, wer wann daheim zu bleiben hat.

Da die tägliche Arbeitszeit

anhand der betrieblichen Bedürfnisse angeordnet wird, werden die Beschäftigten zielgenau eingesetzt. So kann es durch Vermeidung von Leerzeiten zu einer Leistungs­verdichtung kommen: „Beschäftigte mit einem Arbeitszeitkonto geben mit einem Anteil von 56 Prozent überproportional häufig an, praktisch immer oder häufig unter starkem Termin- oder Leistungsdruck zu arbeiten“ (Groß 226–227).

Problematisch ist bei Arbeitszeitkonten auch die Definition, welche geleisteten Stunden als Überstunden und welche als reguläre Arbeitszeit gelten. Da der Grundgedanke von Arbeitszeitkonten die Flexibilisierung der Normalarbeitszeit ist, schlagen manche Autoren vor, die Normalarbeitszeit mit 6 Stunden Untergrenze und 10 Stunden (!) Obergrenze festzulegen. Alles, was in diesem Bereich geleistet wird, gilt dann als Normalarbeitszeit, alles, was über die Obergrenze fällt, als Überstunden. „Schwankungen um die Normalarbeitszeit von 8 Stunden täglich als Überstunden zu bezeichnen würde gegen den Grundgedanken der Arbeitszeitkonten verstoßen, die Normalarbeitszeit schwanken zu lassen“ (Heblich 11).

Schlussendlich könnte auch die fehlende Absicherung

des auf den Arbeitszeitkonten angesparten Zeitguthabens ein großes Problem darstellen, da vor allem bei Kurzzeitkonten die angesparten Stunden nur bedingt vor Verfall geschützt sind (vergleiche Seifert 2004, 11): „Nicht in jedem Fall wird für die geleistete, auf einem Konto gutgeschriebene Arbeit eine monetäre Vergütung oder ein Ausgleich durch Freizeit garantiert“, wobei „Kurzzeitkonten […] ein besonders hohes Verfallsrisiko“ (Seifert 2004, 11) tragen.

Bei Langzeitkonten, die für Altersteilzeit beziehungsweise für einen früheren Pensionsantritt genutzt werden sollen, ergeben sich zusätzlich weitere Problematiken. Um den Pensionsantritt um ein Jahr vorverlegen zu können, müssten „Vollzeitbeschäftigte über einen Zeitraum von gut 15 Jahren durchschnittlich eine halbe Überstunde pro Tag oder 2,5 Stunden pro Woche über die vereinbarte Regelarbeitszeit hinaus leisten“ (Seifert 2010, 508).

Nicht alle Beschäftigten

werden die Arbeitszeit in diesem Umfang erhöhen wollen oder können, vor allem dann nicht, wenn sie Versorgungspflichten nachkommen müssen oder eine Doppelbelastungen durch Arbeit und Haushalt haben, wie das bei gegebenem Rollenmuster vorrangig auf Frauen zutrifft (vergleiche Seifert 2010, 509).

Weiters erhöhen längere Arbeitszeiten die Arbeitsbelastung, was sich nachweislich negativ auf die Gesundheit auswirkt. Man kann also zwar vielleicht ein paar Monate früher in Pension gehen, dafür ist man marod.

Bewältigungsstrategie

Bei Konten, auf denen dermaßen viel Arbeitszeit angespart ist, besteht außerdem immer die Gefahr, dass sie langfristig anderen Zwecken zum Opfer fallen.

So war die Bewältigungsstrategie der letzten Wirtschaftskrise vieler Unternehmen in Deutschland, die Konten ihrer Beschäftigten „abzuräumen“ und diese nach Kurzarbeit wieder nach Hause zu schicken, um trotzdem den Verbleib des Stammpersonals für nachher sichern zu können. Eine Strategie, die äußerst kritisch zu sehen ist, denn „[d]er Abbau von Überstunden und Zeitguthaben zur Überbrückung von Auftragsflauten ist eine Verlagerung betrieblicher Kosten auf die Beschäftigten. Denn diese setzen ihre Zeitguthaben ein, um einen möglichen Einkommens- oder Arbeitsplatzverlust zu vermeiden“ (Giesecke 4).

Die Beschäftigungssicherung kann also leicht in Widerspruch zu anderen Verwendungszielen geraten.


Literatur:

  • Dobischat, Ralf und Hartmut Seifert. „Betriebliche Weiterbildung und Arbeitszeitkonten“, in: WSI Mitteilungen, 2/2000. 92–101.
  • Giesecke, Johannes und Philip Wotschack. Flexibilisierung in Zeiten der Krise: Verlierer sind junge und gering qualifizierte Beschäftigte. WZBrief Arbeit, No. 01, 2009.
  • Groß, Hermann, Eva Munz und Hartmut Seifert. „Verbreitung und Struktur von Arbeitszeitkonten“, in: Arbeit, Heft 3, 2000. 217–229.
  • Heblich, Stephan. Arbeitszeitflexibilisierung Revisited. Passauer Diskussionspapiere: Volkswirtschaftliche Reihe, V-35-05, 2005.
  • Heidemann, Winfried. „Bildungszeitkonten: Betriebliche Verbreitung und Beispiele“, in: WSI Mitteilungen 8/2009. 453–455.
  • Seifert, Hartmut. „Arbeitszeitkonten lösen Normalarbeitszeit ab“, in: Gudrun Linne (Hrsg.). Flexible Arbeitszeit und soziale Sicherheit. Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitspapier 97, Düsseldorf 2004.
  • Seifert, Hartmut. „Arbeitszeit- und Lernzeitkonten – Ein Ansatz für alternsgerechtes Arbeiten?“, in: Gerhard Naegele (Hrsg.), Soziale Lebenslaufpolitik. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010. 500–513.

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