Sozialarbeit als Frauenberuf: Ein aktueller Bericht des Arbeitsmarktservice zum Thema Gender und Arbeitsmarkt zeigt deutlich, dass bei einem Vergleich des jeweiligen Frauenanteils aller Berufskategorien die Kategorie Soziales, Gesundheit, Schönheitspflege mit zwischen 74% und 90% (je nach Berufsgruppe) an der Spitze liegt. An zweiter Stelle findet sich die Kategorie Reinigung, Hausbetreuung, Anlern- und Hilfsberufe mit 63-85% Frauenanteil, an dritter Stelle gefolgt von Bekleidungsindustrie mit 58% und Tourismus-Gastgewerbe, Freizeit mit ebenfalls 58%.
Der hohe Frauenanteil im Bereich ‚Soziales, Gesundheit, Schönheitspflege’ erlaubt es daher, diese Berufe weiterhin als Frauenberufe zu bezeichnen, wie auch Andrea Leitner und Anna Dibasi in ihrer Studie über berufliche Segregation in Österreich und Wien ausführen.
Frauen und Männer beweisen zwar täglich, dass sie auf Fachgebieten, die jeweils dem anderen Geschlecht zugewiesen werden, ebenso kompetent und fähig sind – die Aufteilung des Arbeitsmarkts in sogenannte Frauen- und Männerberufe besteht dennoch weiter, auch bei den jüngeren Generationen.
Es liegt also nahe, anlässlich des internationalen Frauentages einige grundsätzliche Überlegungen zur Arbeit in den oben erwähnten Gesundheits- und Sozialberufen anzustellen – zumal unsere Dienstgeberin Stadt Wien bzw. ihre Unternehmen und ausgelagerten Organisationen für die Gestaltung dieser Arbeitsbereiche verantwortlich sind.
Sozialarbeit als Frauenberuf: In der Geschichte verankert
Ein geschichtlicher Rückblick zeigt: Schon die Entstehung der Sozial- und Gesundheitsberufe war weiblich. Anfangen bei den weisen Frauen der traditionellen europäischen Medizin und Geburtshilfe, über die Frauenklöster bis hin zu den heutigen Pflegewissenschaften haben Frauen die Krankenpflege entwickelt und sie, wenn auch in den letzten Jahrhunderten zunehmend im Schatten einer männlich dominierten Medizin, gestaltet und durchgeführt.
Die Sozialberufe gingen ebenfalls aus einer weiblichen, teilweise feministischen Tradition hervor: Sozialarbeit bzw. Soziale Arbeit als Beruf startete im 19. und 20. Jahrhundert mit sozialen Frauenvereinen, der Übernahme der Wohlfahrtspflege durch Frauen, den Sozialen Frauenschulen, den frühen Sozialarbeitswissenschaftlerinnen Alice Salomon in Deutschland, Mary Richmond und Jane Addams in den USA, Ilse Arlt in Österreich und zahlreichen weiteren Expertinnen.
Sozialarbeit als Frauenberuf: Sozialisation spielt eine große Rolle
Es deutet vieles darauf hin, dass Frauensozialisation, Rollenbilder und Lebensbedingungen von Frauen über Jahrhunderte und Jahrzehnte die Entwicklung von Kompetenzen in heilenden, pflegenden, unterstützenden, beratenden Tätigkeiten gefördert haben. Viele Frauen haben ihre Fähigkeit, soziale Probleme nicht nur zu analysieren sondern auch zu lösen, unter Beweis gestellt. Eine zentrale Erkenntnis dabei war und ist, dass Sozial- und GesundheitsarbeiterInnen dann am wirkungsvollsten tätig sein können, wenn sie ihren KlientInnen und PatientInen als verlässliche Bezugspersonen begegnen.
Ende des 20. Jahrhunderts schienen gesellschaftliche Anerkennung und Professionalisierung der Berufe Pflege und Sozialarbeit in greifbare Nähe zu rücken: Beide Berufe entwickelten eigene Wissenschaftsdisziplinen, die Ausbildungen wurden umfassender und anspruchsvoller und eine gesetzliche Absicherung ihrer Zuständigkeiten für bestimmte gesellschaftliche Aufgaben und berufliche Tätigkeiten war die logische Folge.
Standardisierung statt Professionalisierung
Unter Professionalisierung verstehen heutige Sozialarbeitswissenschaftlerinnen wie Silvia Staub-Bernasconi und Mechthild Seithe u.a. die Fähigkeit, kreativ aus eigener Fachlichkeit Entscheidungen zu treffen und aus dem eigenem Wissen heraus zielgerichtet zu handeln. Darüber hinaus verfügt eine Profession über eine eigene Berufsethik, die ihr eine gewisse Unabhängigkeit von der jeweils aktuellen Politik und dem jeweiligen Zeitgeist sichern sollte.
Es kam jedoch anders: Pflege und Soziale Arbeit wurden Anfang der 2000er-Jahre von betriebswirtschaftlichen Managementmethoden und technokratischen Standardisierungen überschwemmt – ein Trend, der bis heute anhält. Eigene fachliche Entscheidungsspielräume wurden wieder eingeschränkt; es gilt nun, Checklisten abzuarbeiten, Handlungsvorgaben genau einzuhalten und jeden Arbeitsschritt genau, mitunter mehrmals, zu dokumentieren. Zeit zum Nachdenken oder zum Austausch mit KollegInnen wird eingeschränkt, als „Lückenzeit“ klassifiziert oder wegrationalisiert. Es kommt zu einer fortlaufenden Arbeitsverdichtung. Die Fachexpertise dieser Berufe – und somit die Fachexpertise vieler Frauen – wird kaum noch anerkannt, und die Unterbezahlung im Vergleich zu technischen Berufen ist unübersehbar.
Statt für KlientInnen und PatientInnen Bezugsperson zu sein, sollen SozialarbeiterInnen und Pflegepersonen Leistungspakete anbieten. Die AdressatInnen gelten nun als KundInnen, und müssen immer unpersönlichere, wechselhafte Betreuungssituationen hinnehmen. Schematische Darstellungen von Arbeitsabläufen erinnern zunehmend an Computerprogramme, so als stünde die Übernahme der Tätigkeit durch künstliche Intelligenz unmittelbar bevor.
Pflegenotstand
Der aktuelle Pflegenotstand zeigt, dass viele Frauen dieses Berufsfeld verlassen. Der Pflegeberuf verliert an Attraktivität, sowohl bei Frauen als auch bei Männern, und in weniger deutlichem Ausmaß dürfte das auch auf andere Sozial- und Gesundheitsberufe zutreffen.
Die Frage drängt sich auf, inwieweit die eingangs erwähnten, überwiegend von Frauen entwickelten Kompetenzen und Fähigkeiten in den Sozial- und Gesundheitsberufen noch wirksam eingesetzt werden – und wie die Entwicklung der letzten Jahre zum aktuellen Pflegenotstand beigetragen hat.
Wenn wir um bessere Bezahlung, gesellschaftliche Anerkennung und insgesamt mehr Respekt gegenüber unserer Arbeit kämpfen, sollten wir nicht darauf vergessen, auch auf die spezifischen Inhalte Sozialer Arbeit und Pflege zu bestehen – nämlich der sorgfältigen, professionellen und engagierten Arbeit mit Menschen.
Weiterführende Literatur:
- AMS: Gender und Arbeitsmarkt; Geschlechtsspezifische Informationen nach Berufsbereichen.
- Andrea Leitner, Anna Dibasi, Frauenberufe-Männerberufe Ursachen und Wirkungen der beruflichen Segregation in Österreich und Wien
- Silvia Staub-Bernasconi: Deprofessionalisierung und Professionalisierung der Sozialen Arbeit
- Mechthild Seithe: Professionelle Identität (Interview auf youtube)
Autorin Christine Petioky, MA, ist Personalvertreterin und Betriebsrätin im Fonds Soziales Wien und setzte sich intensiv für Frauenthemen ein.