Die Ersten verlassen das sinkende Schiff.

In Wien leben einerseits BürgerInnen mit dem steigenden Anliegen, das Lebensumfeld sinnstiftend mitzugestalten und Herausforderungen gemeinsam mit der Stadt zu lösen. Andererseits lebt in unserer Stadt eine wachsende Anzahl an Menschen, die auf Grund der Gesetzeslage nicht mitbestimmen darf. Und es gibt auch jene, die den Anschluss an unsere Gesellschaft verlieren, weil sie nicht wissen, wie sie teilhaben können, da sie es entweder nicht mehr schaffen oder sich bewusst abwenden. Daraus ergeben sich Spannungsfelder.

Unser Anspruch ist es, allen zu ermöglichen, unsere Stadt gemeinsam zu gestalten, die BürgerInnenbeteiligung auf neue Beine zu stellen, die Demokratie weiterzuentwickeln, ein faires Wahlrecht für alle durchzusetzen, die digitale Demokratie zu stärken, Partizipationsmöglichkeiten für alle zu erreichen, mehr Information und mehr Transparenz zu bewirken, den Stadt­rechnungshof weiterzuentwickeln und die Bezirksdemokratie zu stärken.

Diese Rahmenbedingungen machen es umso wichtiger, dem Wert der Gerechtigkeit folgend für Chancengleichheit für alle einzutreten. Nicht durch paternalistische Nivellierungspolitik von oben, sondern getragen von einer Politik, die Eigen­verantwortung, Rücksichtnahme und Engagement – sei es für die Gesellschaft, im beruflichen Umfeld oder im Privaten – wertschätzt und fördert. Jenen, die den Anschluss an unsere Gesellschaft zu verlieren drohen, reichen wir partnerschaftlich die Hand und stützen sie.
(Zusammenfassung des Regierungsabkommens 2015)

Mit der Veröffentlichung des Regierungsabkommens 2015 zwischen Rot und Grün ließen sich bereits weitreichende Veränderungen bei der Stadt Wien erahnen. Oftmals hinter Polemik oder, wienerisch ausgedrückt, „schwammigen Aussagen“ versteckt, lagen und liegen die Tücken im Detail, wie sich mittlerweile zeigt: Für die BürgerInnen soll alles einfacher werden.

Die Kosten der Verwaltung müssen drastisch gesenkt werden und am Ende des Tages sollen weniger MitarbeiterInnen der Stadt mehr leisten. Im Gegenzug und als Instrument der Kontinuität werden mehr Zwischen­hierachien eingezogen (= es gibt mehr Chefs und Chefinnen) und die Dokumentations- und Berichtsflut steigt in den Turm des Wahnsinns empor.

Dafür dürfen sich zukünftige MitarbeiterInnen bei der Stadt auf ein modernes Gehaltssystem einstellen. Die „alten“ KollegInnen werden sich über kosmetische besoldungsrechtliche Änderungen teils wundern oder aber auch freuen. Kurz – die Stadt Wien soll eine Runderneuerung erfahren.

Kann die Stadtverwaltung wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt werden?

Managementexperten bejahen den Weg der modernen Kommune und deren Verwaltung. Angelehnt an das sogenannte Lean Management soll der Bürger/die Bürgerin als Kunde/Kundin im Zentrum stehen. Lean Management bedeutet „Werte ohne Verschwendung schaffen“. Ziel ist es, alle Aktivitäten, die für die „Wertschöpfung“ notwendig sind, optimal aufeinander abzustimmen und überflüssige Tätigkeiten zu vermeiden.

Dazu gilt es, das bestehende System aus zwei Perspektiven zu überprüfen und zu verbessern: aus der Sicht des Kunden, dessen Wünsche nach Verfügbarkeit, Individualität, Qualität und Preis­gestaltung es möglichst optimal zu erfüllen gilt, und aus der Sicht des Unternehmens selbst, das profitabel funktionieren und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern muss.

Auf die Stadt angewendet: Bürokratie soll reduziert werden und die MitarbeiterInnen der Stadt mögen den KundInnen „zur Verfügung“ stehen. So wie die Bürokratie für diese abnimmt, steigt sie jedoch im Sinne von Dokumentation und Papierflut bei den MitarbeiterInnen. Schließlich und endlich muss im Zweifelsfall oder auf bloße Rückfrage alles ordnungsgemäß aufliegen. Kurz des einen Freud, des anderen Leid. Besonders grotesk erscheint es dabei, dass mehr Administration von weniger MitarbeiterInnen zu erfolgen hat.

Real bedeutet das einen stätig sich erhöhenden Stress- und Arbeits­druck. Trotzdem sieht der neue Weg eine umfassende Reduktion von KollegInnen in der Stadt vor.

Das neue System schafft auch Möglichkeiten, das typische amtliche Verwaltungssystem neu zu organisieren, denn es ist nicht mehr zwingend notwendig in Amtsräumen die Arbeit zu erledigen. Das kann auch „bequem“ von Daheim mit einem Stadt Wien PC-Zugang erledigt werden. Ganz nebenbei – neben Familie, eventuell Haustieren und in gewohnter Umgebung. Hört sich doch gut an – die verstärkte Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Die Aufgaben von Interessenvertretung und Gewerkschaften in Zeiten wie diesen

Der bereits beschrittene Weg, bei den Einsparungsplänen der Stadt im Zuge von „Wien neu denken“ nicht zum missverstandenen Sozial­partner degradiert zu werden, muss weiter beibehalten werden. Es ist nicht Aufgabe der Interessenvertretungen und Gewerkschaften, gegen die MitarbeiterInnen und bereits erfolgreiche, positive Veränderungen bei Arbeitsbedingungen anzutreten. Das heißt nicht, dass sich die VertreterInnen gegen alle Neuerungen zu stellen haben. Im Zentrum ihres Wirkens steht jedoch der/die MitarbeiterIn.

Personalabbau, Erhöhung des Arbeitsdruckes, negative Veränderungen bei der Besoldung und diskussionswürdige neue Arbeitsbedingungen können nicht die Anliegen einer Gewerkschaft sein. Vielmehr geht es um Schutz und gesundes Neudenken von Arbeit. Die Stadt und ihre PolitikerInnen müssen sich selbst die Gewissensfrage nach ordentlicher Haushaltsführung stellen. Millionen für Eigenwerbung und Beratungs­firmen sowie ehrgeizige Einzelprojekte von selbstverliebten Politiker­Innen sind längst passé.

Damit ist ganz klar, dass eine starke Gewerkschaft gefragt ist und diese muss wie ein Fels in der Brandung mit ihren MitgliederInnen diesen neuen, nicht arbeitsdemokratischen Entwicklungen sinnstiftend entgegenstehen.

Themen wie „gesund arbeiten und leben“, „gesund führen“ und „gesund haushalten“ sind das Zentrum der gewerkschaftlichen Positionen.

Was braucht es dazu? Wie kann eine gute Balance zwischen persönlichen, privaten, familiären und unternehmerischen Aspekten hergestellt werden? Wie schaffen wir es, zukünftig die digitalen Technologien dort zu nutzen, wo sie unsere Arbeit positiv unterstützen und sich dort ganz bewusst gegen sie zu entscheiden, wo sie allmählich unsere Selbstbestimmung einschränken?

Mehr denn je ist jetzt ein offizieller Beitritt zu der Gewerkschaft wichtig! Denn die Gewerkschaft ist die einzige Möglichkeit für uns Arbeit­nehmerInnen, unseren Interessen eine starke Stimme zu geben.

Zählt der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin bei der Stadt noch – oder sind die MitarbeiterInnen auf die kleinste wirtschaftliche Einheit reduziert worden?

Das Gefühl, das viele täglich haben, ist fehlende Wertschätzung und Respekt. Dienstliche Anweisungen von oben nach unten dienen schon längst nicht mehr dem Schutz der MitarbeiterInnen, sondern im Zweifelsfall als Waffe gegen die Öffentlichkeit. Nämlich dann, wenn Misswirtschaft oder Fehlverhalten durch die Medien posaunt werden.

Dann putzen sich PolitikerInnen oder hohe DienstgebervertreterInnen an den MitarbeiterInnen ab. Geopfert werden jene, die die Vorschriften zu erfüllen haben. Loyale MitarbeiterInnen, die aus Liebe zu ihrer Tätigkeit und oftmals zu den Menschen in ihrer Umgebung ein hohes Maß an Arbeit erbringen, brennen sukzessive aus.

Sie kommen oftmals erschöpft durch den permanenten Arbeitsdruck, aus Angst um ihren Arbeitsplatz oder auch krank an ihre Arbeitsstelle – nur um die „Anderen“ nicht hängen zu lassen. Und eben diese Empathie macht sich die Dienstgeberin zu Nutze. Moralisch bedenklich? Ja! Und das ist auch schon die Antwort auf die Frage:

Es gibt subjektiv empfunden keine nachhaltige Bindung seitens der Stadt zu den MitarbeiterInnen und keinen ehrlichen Anspruch auf Qualifikation und langes Verbleiben bei der Stadt. Lediglich der Anspruch auf arbeitende Menschen, die die Zielvorgaben erfüllen.

Und das am besten effizient und mit möglichst niedriger Besoldung – dass eben alles schnell und günstig ist. Eine eigenartige Ausprägung welcher moralischen Ansprüche auch immer – wohl wirklich nach Brechts Dreigroschenoper „zuerst kommt das Fressen, dann die Moral“.

Politische Moral versus Politikverdrossenheit der Menschen in unserer Stadt Wien

Wenn auch Politik und Dienstgeberin darauf vertrauen, dass der neue Weg der Beste sei, wird dabei darauf vergessen, dass es in der Stadt nicht nur bildungsferne BürgerInnen gibt, die alles glauben, was ihnen gesagt wird. Die Politikverdrossenheit und der spürbare Aufschwung des Mitdenkens bei demokratischen Prozessen, und da gehört wohl die Verwaltung der Stadt dazu, wird auch von den bornierten Sesselsitzern nicht verhindert werden können.

Denn auch in der Politik gibt es Menschen mit Moral und Anstand für ein ausgewogenes Ganzes. Offensichtlich existiert ein Durst nach Gerechtigkeit. Packeleien und Freunderlwirtschaft sind ein Relikt aus dem vorigen ­­Jahrhundert.

Vertuschen von Fehlentwicklungen, Schaffung von Bauernopfern und permanentes Herumwurschteln dürfen nicht weiter unsere Stadt beherrschen. Das Amt einer/s Politikerin/s ist nicht die Garantie, dass die Person die es innehat, es auch wirklich sozial, demokratisch und verbindend ausfüllen kann.

Grundprinzipien des Lean Management

  • Ausrichtung aller Tätigkeiten auf den Kunden (Kundenorientierung)
  • Konzentration auf die eigenen Stärken
  • Optimierung von Geschäftsprozessen
  • Ständige Verbesserung der Qualität (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, KVP)
  • Interne Kundenorientierung als Unternehmensleitbild
  • Eigenverantwortung, Empowerment und Teamarbeit
  • Dezentrale, kundenorientierte Strukturen
  • Führen ist Service am Mitarbeiter
  • Offene Informations- und Feedback-Prozesse
  • Einstellungs- und Kulturwandel im Unternehmen

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