Die Mindestsicherung ist das Mindeste.

Im Moment sieht es ungefähr so aus: Es gibt zwanzig Jobs, um die sich 25 Menschen bewerben. Und wir haben nichts Besseres zu tun, als die fünf Personen zu drangsalieren und zu schikanieren, die keine der zwanzig Stellen ergattert haben, denn theoretisch hätten sie die Jobs, die sie nicht bekommen haben, eh nicht annehmen wollen. Dieser sozialpolitische Diskurs ist schwer daneben.

Die Mindestsicherung ist das allerletzte soziale Netz

Wenn gar nichts mehr geht, wenn Krankheit, Behinderung, mangelnde Ausbildung, Schuldenlast oder Trennung vom Partner oder der Partnerin die geregelte Erwerbsarbeit unmöglich machen, sorgt die Stadt für minimale finanzielle Rahmenbedingungen, um den betroffenen Familien und Einzelpersonen eine halbwegs würdevolle Existenz zu ermöglichen.

In Wien profitieren im Moment rund 180.000 Menschen von dieser Sozialleistung. Bis zum Jahresende werden es rund Zweihundert­tausend sein, darunter fünfzigtausend Kinder, dreißigtausend anerkannte Flüchtlinge und vierzehntausend AlleinerzieherInnen. Das kostet Geld. Geld, das insbesondere ÖVP und FPÖ nicht mehr zu haben glauben. Seit Monaten überbieten sich die beiden Parteien mit immer neuen Grauslichkeiten, um denen, die ohnehin nichts haben, das Leben noch ein bisschen mehr zu verderben: Radikale Kürzungen, Deckelungen, Zwangsarbeitsdienste, Ein-Euro-Jobs und Ähnliches.

Das Problem ist:

Die Reform der Mindestsicherung ist Gegenstand von Verhandlungen zwischen Bund und Ländern und es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass FPÖ und ÖVP gar kein Interesse an einer Einigung haben. Eine Einigung würde bundeseinheitliche Mindeststandards garantieren. Doch das ÖVP-regierte Niederösterreich bereitet sich schon auf einen Alleingang vor und im schwarz-blau regierten Oberösterreich haben sie schon vor einigen Monaten die Bezüge massiv gekürzt. Sollte eine Einigung tatsächlich scheitern, leiden darunter vor allem die EinwohnerInnen von Wien, weil hier mit Abstand die meisten MindestsicherungsbezieherInnen leben.

Wenn FPÖVP weiterhin die Einigung untergraben, läuft die bisherige Vereinbarung mit 1. Jänner 2017 aus. Ab diesem Zeitpunkt wären einige tausend Menschen, alte und behinderte Menschen, Allein­erzieherInnen und (ihre) Kinder, die bisher Mindestsicherung beziehungsweise Vollbezug bezogen haben, nicht mehr kranken­versichert. Jegliche Rechtsgrundlage zwischen Bund und Ländern, die etwa die Arbeitsvermittlung und die Ausbildung von BezieherInnen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung regelt, wäre obsolet. Das würde bedeuten, dass die Länder willkürlich Grenzen in der Mindestsicherung ziehen könnten; Sozialdumping wäre die Folge. Der Arbeitsdruck würde massiv ansteigen, was prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Ausbeutung fördern würde. Viele Menschen, die bis jetzt Wohnbeihilfe beziehen, würden sich ihre Unterkünfte nicht mehr leisten können und buchstäblich auf der Straße landen. Obwohl Wien natürlich versuchen wird, das Allerschlimmste zu verhindern, steht die Stadt vor einer praktisch unlösbaren Aufgabe. Wien wird immer größer, aber das Budget schrumpft, die Schulden wachsen. Ohne die Zahlungen der Bundesregierung können wir diese Aufgabe nicht bewältigen.

Selbst wenn es zu einer Einigung in den Verhandlungen kommt,

selbst wenn der im Moment von SPÖ und ÖVP auf den Tisch gelegte Vorschlag angenommen wird, erhalten beispielsweise Allein­erzieherInnen mit zwei Kindern statt bisher maximal 1635 Euro bestenfalls eine Summe zwischen 1080 und 1355 Euro – und das, obwohl die von der ÖVP favorisierte Begrenzung der Bezüge auf maximal 1500 Euro pro Haushalt rechtlich wohl nicht haltbar ist und der vermutete Einsparungseffekt vergleichsweise gering ist.

Alle wissen, dass es nicht genügend Jobs vor allem im niedrig­qualifizierten Bereich gibt. Trotzdem behaupten ÖVP und FPÖ starrsinnig, dass der Arbeitszwang für jugendliche Schulabbrecher­Innen und andere Menschen ohne Ausbildung das Allheilmittel sei, um die Sozialausgaben zu reduzieren. Ihre Weisheit:

„Und wenn du keine Arbeit findest, dann kriegst du den Ein-Euro-Job in der Müllsortier­anlage oder an anderen Wurmfortsätzen des Kapitalismus. Wir wollen eigentlich nur theoretisch, dass du arbeitest, denn wenn wir den Druck auf dich erhöhen, können wir die Auffangsysteme zurückfahren und die Lohnspirale noch ein bisschen weiter nach unten drücken.“

Aber was können wir tun?

Wie verhindern wir, dass zehntausende junge Menschen als Generation Hartz IV versauern – ohne Jobs, ohne Ausbildungen, ohne Perspektiven, ohne Geld? Wir müssen Strukturen verändern, um Strukturen zu verändern.

  1. Werte ÖVP, die Deckelung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bei 1500 Euro ist aller Voraussicht nach rechtswidrig. Aber wenn es der Einigung hilft, dann schleift die Kinderzuschläge bei Vielkindfamilien ein, aber bleibt bei den Wohnkosten flexibel. Wird der im Moment vorliegende Kompromiss realisiert, sind allein in Wien einige tausend Kinder und deren Familien von der Deckelung betroffen, und tausende weitere Kinder fallen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, weil die Höchstgrenze gesenkt wird.
  2. Betrachten wir – unter streng definierten Umständen – die Mindestsicherung als Lohnsubvention, und zwar ausnahmslos in Verbindung mit beruflicher Ausbildung, Qualifikation und Begleitung während dieser Beschäftigungszeit. Was spricht gegen den Ausbau eines integrativen zweiten Arbeitsmarktes im öffent­lichen und halböffentlichen Bereich? Wir halten auch die Idee der „Wiener Jugendunterstützung“ für tauglich, solange sie einen Weg aus der Mindest­sicherung weist.
  3. Am Ausbau der Eingliederungshilfen für Unternehmen, die wiederum an berufliche Aus- und Weiterbildung gekoppelt sein müssen, führt kein Weg vorbei.
  4. Auch das von der SPÖ ventilierte „Integrationsjahr“ ist weitgehend vernünftig, selbst wenn das Konzept die disziplingetränkte Sprache der ÖVP übernommen hat (Strafen, Sanktionen, etc.). Aber bitte vergesst die Residenzpflicht. Das ist eine reine Scheindebatte, die nur dazu dient, die Bevölkerung zu beschwichtigen. Kommunen, die sich weigern zu investieren, sollen in einen Ausgleichsfonds einzahlen.
  5. Machen wir uns nichts vor: Wir alle werden günstiger und kleiner bauen müssen.

Ich weiß, dass das alles keine umwerfend attraktive Option ist

Und schon gar nicht links im traditionellen Sinne. Ich hoffe, dass die ArbeitnehmerInnenvertretungen aufschreien, da einige meiner Vorschläge nichts anderes bedeuten als staatlich subventionierte, nicht gut bezahlte Lohnarbeit. Aber mir fehlen, pragmatisch betrachtet, die Alternativen, wenn wir die Perspektive, der FPÖ einfach den Schlüssel zum Bundeskanzleramt zu übergeben, einmal außer Betracht lassen.

Versuchen wir im Rahmen unserer finanziellen, strategischen und ideologischen Möglichkeiten sozial und ökonomisch verantwortlich zu handeln und befeuern wir nicht sehenden Auges soziale Unruheherde.

Ja, das ist Realpolitik. Aber das ist unser Job, und wenn wir schon keine Wunder wirken können, dann sollen Menschen in Not wenigstens das Vertrauen in uns PolitikerInnen haben, dass wir es mit ganzer Kraft versuchen.

Geschrieben von Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen.

Dieser Artikel erschien zunächst auf vice.com.

Quelle: Die Alternative

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