Wie der Rechnungshof den KAV in seinem Rohbericht seziert.

Quelle: semiosis.at

„Das dauert noch mehrere Wochen“, heißt es dem Vernehmen nach aus Kreisen des Rechnungshofs. Gemeint ist der offizielle Rechnungs­hofbericht zum Geschäftsgebaren des Wiener Kranken­anstalten­verbunds von 2012 bis 2015.

Seit Ende September 2016 wird ein so genannter „Rohbericht“ in Häppchen an Insider verteilt. Von zu hohen Gehältern in der Generaldirektion wurde bereits berichtet. Und von 48 Millionen Euro Beraterhonoraren. Bei ihnen ist unklar, was genau die Leistung war. Doch sind diese Dinge nur Kleinigkeiten im Vergleich zu seinem sonstigen Inhalt, so meint auch der Falter in seiner Printausgabe.

Denn die Organisation des KAV ist unklar, die Zielvorgaben sind schwammig. Eine wirksame Kontrolle gibt es nicht. Die General­direktion mit Udo Janßen an der Spitze hat im wesentlichen versagt. Ebenso die politische Ebene, also die zuständige Stadträtin und der Gemeinderat. So die Kernaussagen des Berichts.

Auch wir haben eine Kopie des Dokuments erhalten – inklusive Schriftverkehr und der ersten Stellungnahme der Stadt. Auf den mehr als 100 Seiten formulieren die Prüferinnen und Prüfer des Rechnungshofs ungewöhnlich direkt. Das liegt zum einen daran, dass eine politische Agenda verfolgt wird. Sie wollen, dass der Krankenanstaltenverbund ausgegliedert wird. Zum anderen sind die Mängel im System so gravierend, dass drastische Formulierungen angebracht sind. Derzeit wird also an einer politisch geglätteten Fassung gearbeitet. Grund genug, einen Blick in die Wirklichkeit des Wiener Gesundheitssystems zu werfen.

Der ungeschönte Rechnungshofbericht zum Anstaltenverbund KAV

„Sehr geehrter Herr Bürgermeister“, schreibt die Präsidentin des Rechnungshofes, Frau Doktor Margit Kraker am 28. September 2016 an den Wiener Rathauschef. Der „Rechnungshof übermittelt sein Prüfergebnis Organisation der Generaldirektion des Wiener Kranken­anstalten­verbunds mit dem Ersuchen um Stellungnahme innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten und um Mitteilung allenfalls bereits getroffener Maßnahmen. Im Interesse einer zeitnahen Berichterstattung wird ersucht, die Stellungnahmefrist möglichst nicht zur Gänze auszuschöpfen.“

Die Rechnungshof-Analyse hat politische Sprengkraft. Das war der Präsidentin durchaus bewusst. Denn das geprüfte Geschäftsgebahren des KAV wird im Text förmlich in der Luft zerrissen. Von daher blieb ihr Wunsch wegen der Frist ein frommer. Die Stellungnahme der Magistratsdirektion war am 18. November fertig, darauf folgt eine politische Lesepause von drei Wochen. Schließlich datiert die Beschlussvorlage des Stadtsenats mit 6. Dezember. In ihr wird versichert, dass nunmehr alles anders werde. Doch hätte die letzte Woche zurückgetretene Stadträtin für Gesundheit, Soziales und Generationen, Sonja Wehsely (SPÖ), die öffentliche Diskussion des Berichtes wohl politisch nicht überlebt. Zu schwer sind die Managementfehler, auch auf Seiten der Stadt.

Größter Gesundheitskonzern Europas in der Krise

Die kleineren und größeren Skandale in den Wiener Krankenhäusern haben interne Ursachen. Von den Gangbetten im Wilhelminenspital über die langen Wartezeiten für überlebenswichtige Behandlungen bis hin zur Arbeitsverdichtung für die Beschäftigten. All das ist Folge der unklaren, schlampigen und chaotischen Organisation dieses größten Gesundheitskonzerns Europas. Doch auch die politischen Vorgaben seitens des Magistrats und des Gemeinderats sind unklar und erscheinen wenig durchdacht, so der Rechnungshof kritisch.

Der KAV ist ein Riesenunternehmen. Im Jahr 2015 gab es im KAV 28.656,9 Dienstposten – alleine die Generaldirektion verzeichnet 458,9 Planstellen. Die Krankenhäuser und ihre Verwaltung sind der mit Abstand größte Arbeitgeber Wiens.

Insgesamt werden 1,5 Milliarden Euro für das Personal aufgewendet, bei über einer Milliarde Sachausgaben. Dieses Bild ist insofern nicht ganz genau, weil im Zuge der Umstrukturierungen ausgelagertes Personal in dieser Rechnung unter Sachkosten verbucht werden kann.
Der Verbund umfasst derzeit 11 Spitäler, darunter das AKH und das Wilhelminenspital. Hinzu kommt das in Bau befindliche Millionengrab Krankenhaus Nord, zu dem im Mai 2017 ein eigener Rechnungshofbericht erwartet wird. Damit ist der nächste politische Sprengsatz in Vorbereitung. Dass in diesem Durcheinander eine vernünftige Planung des Riesenprojektes Krankenhaus Nord durch den KAV erfolgt, scheint äußerst unwahrscheinlich.

Rechnungshof ist für die vollständige „Ausgliederung“ des KAV

Zurück zum Rohbericht. Der Rechnungshof verfolgt darin eine klar erkennbare politische Linie. Er plädiert dafür, den KAV gänzlich von der politischen Leine zu lassen. Er soll seine derzeitige Zwitterstellung – halb eigenständig, halb Gemeinde Wien – aufgeben. Stattdessen soll der KAV zur Gänze als privatwirtschaftlicher Konzern geführt werden. Das heißt: Ausgliederung. Die Stadt Wien bliebe dann zwar zu 100 Prozent Eigentümer – für Organisation und Kontrolle wäre sie aber nicht mehr zuständig. Gleiches gilt für den Gemeinderat, das demokratische Forum Wiens.

Der Rechnungshof „empfahl (…) die Herauslösung des KAV aus der Magistratsverwaltung bei Beibehaltung der 100%igen Eigentümerschaft durch die Stadt Wien zu prüfen.“

Insofern legt die Analyse des Rechnungshofs den Finger in die offenen Wunde des KAV: Unklare Zuständigkeiten, mangelnde betriebswirtschaftliche und politische Kontrolle, fehlende operative Ziele etc. Von den 42 definierten Zielen wurde im Zeitraum ein einziges erreicht. Konsequenzen? Fehlanzeige. All das verdichtet sich in mehreren anschaulichen Tabellen. Eine davon stellt die „Zielsysteme“ des KAV dar. Was ins Auge springt ist das Wort „Nein“. Diese „Zielsysteme“ waren nämlich weitgehend nicht einmal schriftlich fixiert. Und es gibt gar kein Berichtswesen.

Ziele nicht erreicht und Erreichung nicht kontrolliert

Kurz gesagt ergibt sich aus dem Bericht, dass im KAV im untersuchten Zeitraum von 2012 bis 2015 de facto ohne Kontrolle und ohne konkrete Zieldefinitionen vor sich hin gewerkelt wurde. Im Detail listet der Rohbericht schier unglaubliche Mängel in elementaren Geschäftsbereichen auf.

Schwere Mängel in elementaren Bereichen des KAV

Es fehlte „der Unternehmung ein umfassender, aus den strategischen Zielen abgeleiteter operativer Zielekatalog.“

Zwar existieren abstrakt formulierte Zielvorgaben, festgehalten unter anderem im umstrittenen Spitalskonzept 2030. Die werden aber erst dann Wirklichkeit, wenn sie auf den KAV herunter gebrochen und in einzelne Schritte aufgeteilt werden. Diese sind dann in einer festgelegten Zeit zu gehen. Das meint die Formulierung vom „operativen Zielkatalog“. Wenn dieser fehlt, so werden die Ziele eher willkürlich und ohne Evaluierung verfolgt. Und genau so passierte es im KAV.

Im KAV war keine Risikostrategie festgelegt; ein ganzheitliches Risikomanagement-System existierte nicht.

In jedem Krankenhaus gibt es Risiken, die sich statistisch berechnen lassen. Das sind im statistischen Ausmaß von bis zu 10 Prozent unerwünschte Ereignisse. Manchmal geht etwas kaputt (zwei bis vier Prozent) oder es kommt zu Behandlungsfehlern. Sogar Todesfälle aufgrund solcher Fehler kommen vor (mit der statistischen Wahrscheinlichkeit von 0,1 Prozent). Solche Risiken kann man nicht ausschalten. Mit einem Risikomanagement-System arbeitet eine Organisation daran, solche Dinge möglichst zu vermeiden. Außerdem ist es wichtig, wenn es „im Falle des Falles“ klare Vorgehensweisen geben würde. Im KAV war das nicht vorgesehen.

Ein KAV-weites IKS (=Internes Kontrollsystem) fehlte nach wie vor.

In einer so großen Organisation wie in einem einzelnen Krankenhaus ist die Kontrolle von Abläufen sehr wichtig. Offenbar fand diese, wenn überhaupt, im Wiener Verbund der Krankenhäuser unkoordiniert und unsystematisch statt. Man konnte sich nicht einigen, heißt es dazu im Text.

Medizinisches und betriebswirtschaftliches Controlling? Fehlanzeige

Das Beschaffungsvolumen des KAV war erheblich und machte pro Jahr rd. eine Mrd. Euro aus (…) Im KAV fehlten jedoch grundlegende Elemente eines Beschaffungscontrollings für ein Unternehmen dieser Größe.

Wer kauft was, wann und warum? Einfache Fragen, für die es ein Controlling braucht. Nicht so im KAV, was deshalb besonders schwer wiegt, weil alle medizinischen Gerätschaften und Artikel nicht gerade billig sind. Das Tor für Klientelismus und Kleinkorruption steht so sperrangelweit offen.

Im KAV fehlte ein aussagekräftiges betriebswirtschaftliches und medizinisches Controlling.

Eine weitere Aussage, die schwer nachvollziehbar ist. Denn ein medizinisches Controlling ist quasi das Herzstück eines Krankenhauses. Es hat medizinische und betriebswirtschaftliche Aspekte und tariert medizinische Notwendigkeiten und wirtschaftliche Leistbarkeit aus. Oft ist eine entsprechende Abteilung in Krankenhäusern der Ansprechpartner der Krankenkassen. Im Universitätsklinikum Heidelberg existiert beispielsweise eine eigene Abteilung dafür, und das seit dem Jahr 2001. Nicht so im Wiener Verbund zwischen 2012 und 2015.

„Eine langfristige Strategie des KAV für den Vorstandsbereich Personal war für den RH nicht ersichtlich.“

„,Mangels einer Korruptionsrisikoanalyse existierte auch kein darauf aufbauendes, speziell auf die Anforderungen des KAV als größte Gesundheitsunternehmung Österreichs mit rd. 29.000 Mitarbeitern ausgerichtetes, KAV-weites Korruptionspräventionsprogramm.“

Der Rohbericht deckt einen politischen Skandal auf

Was für den Rechnungshof aus betriebswirtschaftlicher Sicht als untragbar erscheint, bedeutet für die Wiener Stadtgesellschaft indes einen politischen Skandal. Denn in den 2,5 Milliarden Euro für Personal und Sachkosten stecken öffentliche Gelder. Natürlich gibt es ein starkes öffentliches Interesse an einem guten Gesundheitssystem, das allen, die es brauchen, kostenlos zur Verfügung steht. Ohne Ansehen der Person. Ebenso sollte eine Zielvorgabe lauten, dass die Beschäftigten ihre Arbeit mit angemessener Bezahlung – und ohne ins Burn-out zu rutschen – verrichten können. Solche Ziele scheinen nicht so wichtig. In der Analyse des Geschäftsgebahrens tauchen sie nicht auf.

Zweifellos besteht ebenfalls ein öffentliches Interesse an einem funktionierenden und effizientem Gesundheitssystem. Daraus leitet sich aber auch ein öffentliches Interesse an einer demokratischen Kontrolle dieses Gesundheitssystems ab. Und diese demokratische Kontrolle ist weder nach den derzeitigen Statuten noch nach der bisherigen Praxis gewährleistet. Sogar das hält dieser Rohbericht fest.

Demokratische Kontrolle? Ebenfalls Fehlanzeige

Der Gemeinderat, das demokratische Forum der Wiener Stadtgesellschaft, erhält noch nicht mal routinemäßig Berichte über den Zustand des KAV. Wie soll er dann seine Kontrollrechte ausüben? Dass weder die operativen Ziele noch die Verantwortlichkeiten im Vorstand schriftlich festgelegt worden sind, ist bei der Dimension des Unternehmens einfach unglaublich. Im Rechnungshofbericht wird der KAV insgesamt als eine Organisation präsentiert, die sich nicht in die Karten schauen lassen will. So kann die politische Kontrolle im Gemeinderat nur versagen:

Im Jahr 2012 beschloss der Gemeinderat erstmals Strategische Ziele für den KAV für vier Jahre (2013 bis 2017); diese wurden 2013 und 2014 fortgeschrieben. Für den Zeitraum 2016 bis 2020 legte die Stadträtin dem Gemeinderat erstmals einen adaptierten aber inhaltlich im Wesentlichen unveränderten Zielkatalog für 2016 bis 2020 zum Beschluss vor, der im Dezember 2015 erfolgte. Dem Beschluss konnten keine Hinweise auf eine Evaluierung der Ziele 2013 bis 2017 oder den aktuellen Umsetzungsstand entnommen werden.
Von den für 2013 bis 2017 festgelegten 42 Zielen waren nur fünf an eine konkrete zeitliche Vorgabe gebunden. Selbst davon war bisher nur eines vollständig umgesetzt. Die Gründe für die Nichterreichung der Ziele bzw. für die notwendig gewordene Fristverlängerung waren nicht nachvollziehbar; die Nichterreichung der Ziele hatte keine nachvollziehbaren Konsequenzen.

Fortsetzung folgt: Wie reagiert die Stadt Wien auf diese Kritik und die 67 Schlussempfehlungen des Rechnungshofs

Geschrieben von Sebastian Reinfeldt.

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