Die erste Weltumrundung ist ja immer ein einschneidendes Ereignis.

Ferdinand Magellan bzw. seine Schiffe (er selber starb vor Umrundung des Erdballs) hat sie mit dem Schiff zwischen 1519 und 1522 geschafft oder Juri Gagarin, der 1961 als erster Mensch nicht nur im Weltraum war, sondern die Erde in 108 Stunden auch vollständig umrundete.

Auch die erste Weltumrundung mit einem konventionellen Flugzeug wurde 1924 durch vier Marinepiloten der US Navy durchgeführt. 1929 umrundete der erste Zeppelin die Erde. Alles fest in männlicher Hand, sollte man meinen, galt eine Erdumrundung doch als besondere Mutprobe und war nicht selten lebensgefährlich.

Die Liste der gescheiterten (männlichen) Versuche ist fast so dick wie das New Yorker Telefonbuch. Trotzdem ist die Geschichte der Erdumrundungen mittels eines Fahr- oder Flugzeugs gemeinhin die Geschichte männlicher Idole. Doch es gibt auch eine andere Geschichtsschreibung. Nämlich jene der ersten Weltumrundung mit einem Automobil. Durch eine Frau.

Clärenore Stinnes schaffte, woran viele Männer scheiterten: Sie umrundete in einem stinknormalen Serienauto ohne große Zusatz­ausrüstung von 1927 bis 1929 die Welt und zwar nur mit zwei Hunden und einem Navigator, der gleichzeitig der Fotograf dieser Weltreise war. Doch wer war diese Clärenore Stinnes eigentlich?

MHV Adler Standard 6s, 1928

Sie wurde als drittes von sieben Kindern des Großunternehmers Hugo Stinnes, nach dem Ersten Weltkrieg als „Inflationskönig“ bekannt, geboren und wuchs als typisches Kind eines Geldadeligen behütet und doch recht frei auf. Recht rasch erkannte ihr Vater ihr kaufmännisches Talent und zog sie bis zu seinem Tode 1924 als Vertraute und Sekretärin für wichtige Geschäfte – vor allem in Südamerika – heran. Hugo starb an den Folgen eines Gallenleidens und seine Tochter versuchte, mit der ihr anhängigen Leidenschaft, dem behandelnden Arzt vergeblich einen Kunstfehler nachzuweisen. Nach dem Tod ihres Vaters versuchte Cläreonore zunächst, das Imperium zusammenzuhalten, scheiterte jedoch an ihrer Familie. Stinnes‘ Firmengeflecht ging in den Folgejahren nach und nach verloren.

Clärenores Leidenschaft, der Motorsport, dem sie schon früh verfallen war, gewann jetzt wieder an Bedeutung. Mit 24 Jahren nahm sie erstmals an einem Autorennen teil, auch ein Flugzeug durfte sie ihr eigen nennen. Drei Jahre später war sie die erfolgreichste Rennfahrerin der Welt mit insgesamt 17 Siegen bei diversen Rennen, wo sie stets als einzige Frau teilnahm und ausschließlich gegen männliche Konkurrenten triumphieren konnte. Dies erregte natürlich Aufsehen in Europa, vor allem ihr Sieg in der „Allrussischen Prüfungsfahrt“ 1925, wo sie gegen 52 Männer aus 13 Nationen antrat. Schnell erkannten die deutschen Automobilbauer die Werbewirksamkeit von Clärenore und formten sie zu einer Marke. Auch der Mineralölkonzern ARAL unterstützte die mittlerweile zur Marke avancierte Frau mit einer Summe von 100.000 Reichsmark.

Mit diesem Taschengeld und einem „Adler Standard 6“ versehen, machte sich die junge Frau mit ihrem Fotografen/Navigator Carl-Axel Söderström (ihrem späteren Mann) am 27. Mai 1925 auf, den Erdball zu umrunden. Stets dabei auch ihre Hündchen und ein Begleitwagen mit Technikern und Ersatzteilen. Zunächst ging es von Berlin aus in bekannte Gefilde, nämlich nach Russland. Die Strecke bis Moskau war ihr von vorhergegangen Rallys bereits gut bekannt und stellte auch keine große Herausforderung mehr dar. Die begann, als der Begleitwagen samt Technikern aufgab und sie alleine weiterfahren sollte.

Für Clärenore Stinnes nur ein kleines Intermezzo, wollte sie doch unbedingt weitermachen. Und sie schaffte es auch, quer durch Sibirien und die Wüste Gobi nach Peking zu kommen. Eine Leistung, die selbst für heutige Autos nicht so ohne weiteres zu bewältigen ist. Vor allem die Wüste Gobi, eine der gefährlichsten Wüstenregionen weltweit – das mongolisch Wort „Gobi“ ist ein landschaftlicher Begriff für eine Geröllwüste – konnte gut bezwungen werden.

Von Peking aus ging es über Tientsin an die Küste und von dort mit dem Schiff nach Japan. Nach der Durchquerung der Hauptinsel Honshu ging es über Yokohama weiter nach Hawaii und von dort wieder mit dem Schiff nach San Franzisco. Die Westküste ging es weiter hinunter nach Lima, von dort quer durch den südamerikanischen Kontinent bis nach Buenos Aires. Quer durch Argentinien fuhr Clärenore mit ihrem Fotografen in einer dramatischen Fahrt über die Anden nach Valparaiso. Nach einem kurzen Aufenthalt, der zu Reparaturarbeiten genutzt wurde, ging es per Schiff wieder gen Norden. In Vancouver schiffte sie aus, um den nordamerikanischen Kontinent zu durchqueren. Sie fuhr die Great Lakes entlang bis nach Detroit, wo sie Henry Ford und seine Automobilwerke besuchte. Danach ging‘s nach Washington und New York, wo sie sich erneut einschiffte – diesmal nach Le Havre.

In Europa gab es einen triumphalen Empfang und als Clärenore mit ihrem Fotografen Carl-Axel am Berliner AVUS eintraf, schrieb man den 24. Juni 1929. Über zwei Jahre dauerte die abenteuerliche, fast vollständig auf Film gebannte Reise dieser bemerkenswerten Frau und ihres Wagens. Insgesamt legte Stinnes exakt 49.244 Kilometer zurück, eine Leistung die erst in jüngeren Tagen überboten wurde.

1931 – Stinnes und Söderström waren inzwischen verheiratet – kam der auf der Fahrt gemachte Dokumentarfilm „Im Auto durch zwei Welten“ heraus und fand ein begeistertes Publikum, welches sich in der großen Depression nach Erfolgsgeschichten sehnte. 2008 kam die Dokumentation „Fräulein Stinnes fährt um die Welt“ ins Fernsehen. Im Roman „Stinnes ist tot“ von Horst Brenner wird der Tod von Hugo aus der damaligen Sicht beschrieben.

Stinnes ist tot

Clärenore und Carl-Axel bezogen ein Gut in Südschweden und zogen dort neben drei eigenen Kindern auch noch eine ganze Menge Pflegekinder auf. Ihre Leidenschaft für Automobile ist ihr bis zu ihrem Tode 1990 nicht abhandengekommen.

Quellen:

Wikipedia

Fräulein Stinnes

Spiegel.de

Youtube

derstandard.at

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