Zu „Belegschaft, übernehmen Sie!“ von Markus Koza in der Alternative Jänner/Feber 2016.

Es ist erfreulich, dass die „Betriebliche Selbstverwaltung“ (autogestion, self-management, autogestione) nach langer Zeit wieder einmal in der „Alternative“ thematisiert und in der akin zur Diskussion gestellt wird. Es ist jedoch betrüblich, dass dies meist erst anlässlich oder im Gefolge des Scheiterns eines „normalen“ Unternehmens stattfindet.

So ist es auch jetzt: Der Konkurs der „Zielpunkt“-Kette ist aktuell der Auslöser. Den betroffenen ehemaligen Zielpunkt-Beschäftigten wird die Option einer Belegschaftsübernahme – so kann man ziemlich sicher annehmen – leider kaum helfen. Das liegt meines Erachtens in erster Linie daran, dass eine Insolvenz- oder Konkurssituation eines Unternehmens doch die betriebswirtschaftlich ungünstigste Situation für dessen Übernahme durch die Belegschaft(en) ist.

Nur einige dieser schlechten Voraussetzungen seien hier beispielhaft angeführt:

  • Wer übernimmt denn schon gerne einen zahlungs­unfähigen, illiquiden, verschuldeten Betrieb?
  • Und auf der Grundlage welcher Qualifizierung sollte denn ein Kapitalgeber einer Belegschaft plötzlich Geld leihen?
  • Und warum sollte etwa ein nicht gefragtes Produkt oder eine unnötige Dienstleistung – das Nicht­erkennen derartiger Sachverhalte fällt auch unter Managementfehler, die den Großteil der Insolvenzgründe ausmachen – durch eine genossenschaftliche Betriebsform plötzlich Sinn machen und Arbeitsplätze langfristig sichern?

Solche und einige andere Aspekte kommen im Beitrag von Markus Koza ein wenig zu kurz, sie sollten jedoch nicht außer Acht gelassen werden.

@ Sich „genossenschaftlich“ organisierende Belegschaften:

Die „Genossenschaft“ stellt (im österreichischen Genossen­schaftsrecht) lediglich eine Rechtsform dar, mit der das Eigentum am Betrieb geregelt wird. Sie ist keine Fest­legung der innerbetrieblichen Arbeitsverhältnisse und der Mitsprache bei der Produktionsweise. „Genossenschaftlich“ sollte nicht mit „gemeinwohlorientiert“ oder mit „solidarwirtschaftlich“ verwechselt werden.

In genossenschaftlichen Betrieben finden sich hier­zulande kapitalistische Arbeitsverhältnisse wie in jeder anderen Betriebs­rechtsform. Ausschlaggebendes inner­betriebliches Kriterium für die Förderungswürdigkeit sollte daher ein umfassendes Selbst­verwaltungsstatut sein.

@ Kapitalisierung des Arbeitslosengeld-Anspruchs:

Wenn das Geld – wie im österreichischen Fall – von der Arbeitslosen­versicherung kommen sollte, dann scheint mir das von Markus Koza vorgestellte Modell nur bedingt tauglich: Das Ziel jeder Versicherung ist doch, den „Versicherungsfall“ (hier die Arbeitslosengeld­zahlung) so kurz wie möglich zu gestalten.

Was sollte die ALV also dazu motivieren, maximale Arbeitslosengeld­ansprüche vorzeitig auszuzahlen für die Gründung eines selbst­verwalteten Betriebes, dessenGelingen unsicher und für dessen Scheitern sie auch noch das Risiko tragen soll, die Kosten für eine Mindestabsicherung zu übernehmen? Die CFI-Konditionen in Italien sind da doch realistischer: Drei Jahre Verlust der AL-Ansprüche der Genossenschaftsmitglieder sind dort der Preis für die (vorzeitige) Auszahlung der AL-Gelder.

Zurück nach Österreich und zum vorgeschlagenen „Insolvenzrecht NEU“: Wenn eine Einschätzung der Arbeitsmarktsituation ergeben sollte, dass die wegen der Insolvenz arbeitslos gewordenen Beschäftigten rascher als die gesamte Anspruchslaufzeit wieder Arbeit bekommen und dadurch wieder zu Einzahlenden in die ALV würden, dann gibt es nicht den geringsten Grund für die Versicherung, maximale Arbeitslosengeld-Ansprüche für ein Belegschafts­unternehmen kapitalisieren zu lassen.

Und wie sollte denn gegenüber den anderen ALV-Einzahlenden (Arbeitgeber und -nehmer!) glaubwürdig nachgewiesen werden, dass hier Arbeitslosengelder quasi als zinsenlose Kredite am Kapitalmarkt vorbei zur Tilgung von Schulden des insolvent gewordenen Vorläufer­unternehmens und zur Befriedigung von Gläubigerinteressen herangezogen würden?

Angesichts solcher gar nicht schwer vorstellbarer Praktiken, die an der ursprünglichen Sinnhaftigkeit und Zweckbindung von Arbeitslosen­versicherungsbeiträgen vorbeigehen würden, scheinen die anderen von Markus Koza vorgeschlagenen Finanzierungsformen schon eher überlegenswert, wenngleich auch fragwürdig.

@ Öffentliche Hand als Finanzier?

Es geht um billiges, für die Weiterführung des Unternehmens notwendiges Kapital, das von Banken kaum zu bekommen ist. Erschwerend ist der Umstand, dass das Unternehmen insolvent wurde, vermutlich Schulden hat und das neue Belegschaftsmanagement außer seiner Arbeitskraft und der Übernahmewilligkeit sehr wahrscheinlich keine Kreditwürdigkeit besitzt.

Der Ruf nach der öffentlichen Hand, die als Finanzierungsinstitut zum Nulltarif tätig werden solle, ist daher naheliegend. Derartige Rufe blieben aber in den letzten Jahrzehnten unerhört. Die meisten der allenthalben für eine Belegschaftsübernahme infrage kommenden konkursbedrohten KMU sind nämlich nicht „too big to fail“, werden also von unseren politischen Repräsentanten als nicht systemrelevant erachtet und können daher nicht mit Gaben aus dem von Steuern gespeisten Füllhorn rechnen. Das ist – noch immer – das Privileg von Banken, auch wenn diese sich weit von ihrer ursprünglichen ökonomischen Funktion entfernt haben.

Die im „Alternative“-Artikel erwähnte Entschließung des Europäischen Parlaments, dass die Mitgliedsstaaten doch Belegschaftsübernahmen und deren begünstigte Finanzierung fördern sollten, ist gewiss löblich; maßgeblich waren jedoch bislang die Richtlinien und Empfehlungen der EU-Kommission in Brüssel.

Dort verbeugen sich unsere gewählten Politiker vor dem Wettbewerbs­kommissar, der im Falle zinsenloser, nicht rückzahlbarer Kredite (das ist bei Förderungen meistens so) sofort mit Sanktionen wegen Wett­bewerbsverzerrung aufschreit und womöglich dieSanktionierung des Staates wegen Benachteiligung der (durch Steuergelder geretteten) Banken bei derenKreditgeschäft einfordert.

Was ist also vor diesem Hintergrund heute von der „öffentlichen Hand“ hinsichtlich Unterstützung, Förderung von Belegschaftsinitiativen zu erwarten? Sie, die „öffent­lichen Hände“ hätten einen unvergleichlich größeren Argumentationsnotstand als sie bei der Übernahme der Pleitenkosten für die heimischen, systemrelevantenGroßbanken haben!

Was bleibt? Wer könnte noch als Finanzier angedacht werden? Zahlen nicht alle ArbeitnehmerInnen in Österreich eine Arbeiterkammer­umlage? Die Arbeiterkammer ist eine Selbstverwaltungskörperschaft. Belegschaften selbstverwalteter Betriebe geben nicht zwangsläufig ihren Arbeitnehmerinnenstatus auf. Die WKO hat ein eigenes „Gründerservice“. Wäre es nicht naheliegend, die Arbeiterkammer an eine ihrer grundsätzlichen Zweckbestimmungen zu erinnern und politisch von ihr die finanzielle Beteiligung bei Belegschaftsinitiativen einzufordern?

Das klingt zwar naiv, aber angesprochen wird hier eine Interessen­vertretung, die ausschließlich von ihren Mitgliedern finanziert wird, deren gewählte Repräsentanten nur diesen gegenüber verantwortlich sein sollten …

@ Beratung und Förderung von Selbstverwaltungsbetrieben:

Die im „Alternative“-Artikel von Markus Koza erwähnte ÖSB*) hatte neben vielen anderen Funktionen auch die Beratung von Belegschafts­initiativen als Tätigkeitsfeld. Diese Unterstützung war in gewissem Ausmaß für die interessierte Belegschaft kostenlos; soweit ich micherinnere, wurden die aus dieser Funktion der ÖSB entstehenden Aufwendungen von der Gewerkschaft der Privatangestellten gedeckt.

Da war nicht die „öffentliche Hand“ im Spiel. Dieses Tätigkeitsfeld hatte in der ÖSB jedoch ein Ablaufdatum gegen Ende der 1990er Jahre. Immerhin gab es damals Kräfte in der Gewerkschaft, die sich mit dem vom ÖGB jahrzehntelang beharrlich verweigerten Thema der selbstverwalteten Betriebe befassten und ihm eine gewisse, wenn auch stiefmütterlich als „experimentelle Arbeitsmarktpolitik“ qualifizierte Bedeutung zugemessen haben.

Die leider nur temporäre Einrichtung der Beratungs­tätigkeit macht dennoch deutlich, dass es sich beim Aufbau von Selbstverwaltungs­unternehmen nicht um „Feuerwehraktionen“ zur Rettung insolvent gewordener „normaler“ Betriebe handelt.

Insolvenz, Betriebspleite, Konkurs, plötzliche Arbeits­losigkeit mögen zwar als Anlässe tauglich sein, Belegschaftsübernahmemodelle anzudenken, die thematische Verschränkung mit der Diskussion alternativer Betriebsformen leidet meines Erachtens jedoch unter der jeweils aktuellen Not- beziehungsweise Zwangssituation desdrohenden oder schon eingetretenen Arbeitsplatzverlusts.

Die Schwierigkeiten bei der Entwicklung alternativer, solidarischer Arbeitsverhältnisse, Fragen der Arbeits­teilung, der Verantwortlichkeit, der Lohnfindung, der Abbau verinnerlichter alter Herrschafts­verhältnisse usw. kommen dabei zu kurz.

Peter Moser erarbeitete als Betriebsrat mit der Belegschaft des Instituts für Stadtforschung, das im mehrheitlichen Eigentum der Stadt Wien stand, in den Jahren 1989/90 zuerst ein Übernahmekonzept, dann ein Gründungskonzept für einen Selbstverwaltungsbetrieb aus. Dieser Forschungsbetrieb, die SRZ Stadt+Regionalforschung GmbH, bestand bis Ende 2008.

*) Sowohl beim Übernahmekonzept als auch bei der Erarbeitung des Gründungs­konzeptes 1990 wurde das SRZ von der ÖSB kostenlos beraten; auch einige Jahre später erhielt das Unternehmen noch einmal eine Beratungs­unterstützung durch die ÖSB.

Markus Koza: Belegschaft, übernehmen Sie

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen