Substantiv, feminin [die] …
… schwierige Lage, Situation, Zeit [die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt]; Schwierigkeit, kritische Situation; Zeit der Gefährdung, des Gefährdetseins; „eine finanzielle Krise steht bevor, droht“
Tja, liebe KollegInnen, das trifft wohl auf uns und unsere Lebensumwelt zu. Wir befinden uns in einer schwierigen Lage. In einer Situation, die es noch nie zuvor gegeben hat. So kam das erste Mal seit dem zweiten Weltkrieg die Militärpolizei zum Einsatz. Eine Zeitspanne, die keiner von uns Arbeitenden erlebt hat. Der erste Wendepunkt liegt hinter uns, die weitere Entwicklung bleibt eine unbekannte Größe. Die Schulen haben Schichtbetrieb, vielleicht geht das im Herbst so weiter, vielleicht öffnen oder schließen sie ganz. Wir müssen mit Schwierigkeiten und vielen kritischen Situationen umgehen. Ja, wir sind weiterhin gefährdet, denn wir sind diejenigen, die noch immer die meisten sozialen Kontakte haben.
Nichtsdestotrotz höre ich, wenn ich mich bei WGs melde, dass alles irgendwie läuft. Nicht immer alles zum Besten und ganz zufriedenstellend, aber das System läuft. Langsam beginnt der ungewohnte Betrieb einen Alltag anzunehmen. Einen ungewohnten und immer noch sehr anstrengenden Alltag für SozialpädagogInnen. Ein Alltag der immer wieder überdacht und abgeändert werden muss. Die Beschulung der Kinder ist nun auch noch von uns zu bewältigen. Teils mit sehr vielen Aufträgen der LehrerInnen, teils mit kaum Schulmaterial. Zeitweise mit dem Hinweis, alle erledigten Aufgaben zu fotografieren und mittels drei verschiedener Apps zu senden. Da könnten wir doch gleich einen Home-Office-Tag einlegen und uns mal so richtig in die Welt der Unterrichtsmaterialien und Bespaßungsangebote einarbeiten.
Wir leisten viel, wir leisten gut, aber wir müssen nichts Übermenschliches leisten. Wir bestreiten den ungewohnten Alltag mit all unserer Kraft und das 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und wer weiß wie viele Wochen und Monate noch. Krafteinteilung ist gefragt.
Denn zu den „ungewohnten“ Beschulungsmaßnahmen kommen gruppendynamische Herausforderungen hinzu. Waren es zuerst Kontaktverbote der Kinder zu ihren Angehörigen, die das Heimweh so mancher Kinder und Jugendlicher massiv erhöhten, so sind es nun Auflagen für Kontakte, die kaum eine der von uns betreuten Familien erfüllen kann. Es kommt zu erhöhter Anspannung, Langeweile, vermehrten Medienkonsum, höherem Aggressionspotential! Therapien fallen weg oder finden online statt, WG-Kinder sind unter sich anstatt mit ihren eigenen Peergroups … kurz genannt: Lagerkoller!
Fällt die Wirtschaftshelferin aus, sind wir SozialpädagogInnen mit weiteren Herausforderungen konfrontiert: reinigen, desinfizieren, Wäsche waschen, alleine kochen.
Was uns bei all der Arbeit nicht trifft ist die finanzielle Krise. Wir sind Angestellte und BeamtInnen der Stadt Wien. Das Gehalt läuft fort. Keine Kündigungen, keine Kurzarbeit, keine Arbeitslosigkeit. Uns trifft keine finanzielle Krise, so wie viele unserer MitbürgerInnen, die in eine ungewisse Zukunft sehen und um ihre Existenz bangen.
Krise ist ein eigentlich aus dem Griechischen stammendes Substantiv – und bedeutet ursprünglich „Meinung, Beurteilung, ‚Entscheidung“ – später im Sinne von „Zuspitzung“ verwendet, das zum altgriechischen Verb krínein führt, welches „trennen“ und „(unter-)scheiden“ bedeutet. Auf das gleiche Verb geht auch das Substantiv „Kritik“ zurück.
Ja, Meinungen, Beurteilungen und Entscheidungen gibt es. Sowohl von der Regierung als auch von der Organisation. Ohne entsprechende Erfahrung in der Not und auf die Schnelle ist das durchaus schwer. Nur zu oft scheiden sich die Geister.
Respekt gebührt den vielen KollegInnen die gerne und mit Freude nach wie vor ihren Dienst verrichten, obwohl Vieles unklar ist. Auch die Leitung scheint sich gut einzusetzen und ist um ihr Personal sehr bemüht.
Und die Kritik? Ja, die darf auch in der Krise geübt werden. War die Kommunikationsstruktur der Organisation schon vor der Krise nicht die Stärkste so wird dies in der Krise noch deutlicher. Es gibt Leitungen, die ihre MitarbeiterInnen – wie schon bisher – vorbildlich noch am Tag des Krisenstabs über Neuerungen informieren. Es gibt leider auch andere, die Informationen verspätet, mit eigener Auslegung versehen, nach eigener Beurteilung von Überflüssigem befreit, nicht an alle oder gar nicht weiterleiten. Die ausführlichen Protokolle des zentralen Leitungsteams, die derzeit innerhalb von Tagen im Intranet für alle abzurufen sind, waren besonders in diesen Fällen eine große Hilfe.
SpringerInnen, VerbundlerInnen und Zivildiener hätten aus Sicherheitsgründen einer Einrichtung zugeteilt werden sollen. Das klappte meistens, aber leider nicht überall. Die Zuschaltungen aus den MA11- eigenen Bereichen waren eine große Hilfe. Dennoch waren sie den Kindern fremd und sollten nebenbei ihren eigentlichen Job weiter machen. Bei Ausfall der WirtschaftshelferInnen gab es teils erst nach mehreren Wochen und teils ungeeignete Zuschaltungen.
Bereitschaft, Flexibilität und Kreativität in der Bereitstellung personeller und technischer Ressourcen wird von den MitarbeiterInnen erwünscht und erbracht. Dies wünschen wir uns auch seitens der Dienstgeberin.
Charakteristika einer Krise sind nach Anthony J. Wiener und Herman Kahn eine dringende Notwendigkeit von Handlungsentscheidungen, ein durch die Entscheidungsträger wahrgenommenes Gefühl der Bedrohung, ein Anstieg an Unsicherheit, Dringlichkeit und Zeitdruck und das Gefühl, das Ergebnis sei von prägendem Einfluss auf die Zukunft. Außerdem haben es die Entscheidungsträger oft mit unvollständiger oder verfälschter Information zu tun. Auf emotionaler Ebene entsprechen ihr Verzweiflung oder Zorn/Wut. Die subjektive Seite der Krise ist ihre Wahrnehmung durch den Betroffenen, die objektive die (historisch zurückblickende und) Einzelfaktoren zusammen bewertende, distanzierte Sicht.
Wir BasismitarbeiterInnen treffen sie jeden Tag, die Handlungsentscheidungen … so viele! Wir BasismitarbeiterInnen kennen das Gefühl der Bedrohung, den Anstieg an Unsicherheit, den Zeitdruck. Krisen begleiten uns beständig in allen Fallgeschichten.
Die Welt wird anders sein, wenn die Corona-Krise vorbei ist. Dann lasst uns gemeinsam analysieren, wie die Einzelfaktoren zusammen zu bewerten sind. Wertschätzen und gleichzeitig offen für Kritik. Aus distanzierter Sicht. Möge aus der Krise ein gutes Fehlermanagement entstehen.