Längere Arbeits­wege, höhere Stunden­verpflichtungen für Eltern, weniger Einkommens­schutz und völligen Verlust jedes Anspruchs auf Arbeitslosengeld.

Mit diesen Forderungen reagiert Reinhold Lopatka, Klubobmann der ÖVP, auf steigende Arbeitslosenzahlen. Einmal abgesehen davon, dass derzeit mehr als acht arbeitslose Menschen auf eine offene Stelle kommen: Alles, was Lopatka fordert, gibt es bereits.

Unwissenheit? Stimmungsmache? Oder was? Aber der Reihe nach: Arbeitswege über jeweils eine Stunde hin und zurück seien nach österreichi­schem Recht nicht zumutbar, behauptet der Chefzündler der ÖVP. Und liegt damit falsch: § 9 Abs. 2 des Arbeitslosen­versicherungs­gesetzes legt nur fest, dass ein Arbeitsweg von zwei Stunden „jedenfalls zumutbar“ sei. Und ergänzt: „Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzu­legen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten ­werden, zumutbar.“

Oder anders gesagt: Wer in einer größeren Stadt lebt, wird ohnehin mit zwei Stunden Arbeitsweg das Auslangen finden, für alle anderen gilt diese Regelung eh nicht.

Die Frage ist: Weiß das Herr Lopatka nicht, oder will er nur Stimmung gegen arbeitslose Menschen machen?

Frauen mit Betreuungspflichten für Kinder bis zehn ­Jahren müssen dem Arbeitsmarkt 16 Stunden zur Verfügung stehen, behauptet Lopatka; alle anderen zumindest zwanzig Stunden. Und „vergisst“ hinzuzufügen: Diese Ausnahme gilt nur, wenn „nachweislich keine längere Betreuungsmöglichkeit besteht“ (§ 7 Abs. 7, Arbeitslosen­versicherungsgesetz). Schlagend wird diese Ausnahmeregelung also nur dann, wenn Gemeinden es verabsäumt haben, ausreichend Kinder­betreuungsmöglichkeiten zu schaffen.

Eine Änderung dieser Regelung hätte also nicht zur Folge, dass mehr Menschen Jobs finden, sondern ausschließlich, dass sie auf Grund der Versäumnisse ihrer Gemeinden aus dem Sozialsystem hinausfallen. Also ­entweder hat Herr Lopatka keine Ahnung, wovon er redet, oder aber er will genau das: Menschen aus dem Sozial­system werfen.

Wer nicht arbeiten will, fordert Herr Lopatka, soll das Arbeitslosengeld auf Dauer verlieren können. Das ist bereits derzeitige Rechtslage, die einen Verlust jedes Anspruchs „für die Dauer der Weigerung“ (§ 10 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz) vorsieht. Trotzdem fordert er, dass Menschen der gesamte Arbeitslosenanspruch gestrichen werden soll (obwohl das eben jetzt schon möglich ist und auch geschieht). Weiß er es nicht, oder will er einfach Stimmung machen?

Einkommensschutz verringern? Und wieder eine sinnlose Forderung …

Bleibt noch der sogenannte „Einkommensschutz“, den Lopatka verringert wissen will. Wer innerhalb der ersten hundertzwanzig Tage der Arbeitslosigkeit einen Job angeboten erhält, der nicht einmal achtzig Prozent des vorherigen Einkommens einbringt, darf ablehnen. Diese Frist will Lopatka auf hundert Tage verkürzen. Und damit kommen wir vielleicht Lopatkas hidden agenda näher. Denn derzeit finden arbeitslose Menschen nach durchschnittlich 118 Tagen (Durchschnittswert des Jahres 2015) einen Job.

Es macht also gar keinen Sinn, diese Frist zu verkürzen, außer ich will Menschen, die ohnehin bereits einen Job in Aussicht haben, dazu zwingen, schlechter bezahlte Jobs anzunehmen. Lopatkas Forderung läuft also in der Praxis auf Lohndumping hinaus: Auf niedrigere Nettoeinkommen, aber auch auf niedrige Einnahmen aus Steuern und ­Sozialversicherungsbeiträgen (und damit auf ein höheres Budgetdefizit).

Wo die Probleme tatsächlich liegen …

Herr Lopatka stellt also durch die Bank offenkundig absurde Forderungen auf und geht direttissima am Problem vorbei: Er verhindert mit seinem Schein- und Neiddiskurs jede Debatte über notwendige Schritte zur Verbesserung der Jobsituation. Eine solche Debatte setzt jedenfalls eine Problemanalyse voraus.

Wie etwa – in aller Kürze – eine Bestandsaufnahme:

  • Im Durchschnitt sind Menschen nur 1,6 Jahre in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt, ehe sie arbeitslos werden
  • 453.000 Menschen erhalten für ihre Arbeit Stundenlöhne, die unter der von der Internationalen Arbeitsorganisation „ILO“ angenommenen Niedriglohngrenze liegen (nämlich weniger als zwei Drittel des mittleren Brutto-Stundenlohns)
  • 22 Prozent aller arbeitslosen Menschen sind erheblich gesundheitlich eingeschränkt
  • Seit 2008 sind fast vier Prozent des Arbeitsvolumens (also der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden) ­verlorengegangen.
  • Im gleichen Zeitraum wurden knapp dreihundert­tausend Vollzeitjobs in Teilzeitjobs aufgeteilt.
  • Drei Viertel aller arbeitslosen Menschen haben ­höchstens einen Lehrabschluss
  • Allein aus dieser Auflistung wird schon deutlich, in welche Richtung es gehen muss:
  • Es bedarf eines Rechtsanspruchs auf Bildung und Qualifikation für arbeitslose Menschen,
  • es bedarf eines existenzsichernden gesetzlichen ­Mindestlohns,
  • es bedarf eines Zugangs zu Gesundheitsmaßnahmen,
  • es bedarf einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich,
  • und vor allem bedarf es öffentlicher Investitionen, um die Jobmisere zu beenden.

Alles das will Herr Lopatka wohl nicht. Und da ist es dann tatsächlich einfacher, arbeitslose Menschen zu quälen.

Geschrieben von Lukas Wurz, sozialpolitischer Referent im Grünen Parlamentsklub und Arbeiterkammerrat der AUGE/UG in Wien.

Quelle: Die Alternative

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