Die Überzeugung und die Zugehörigkeit eines Politikers oder einer Politikerin scheinen immer weniger Wert zu sein. Heute dort, morgen da. Heute links, morgen liberal und am Ende dann doch rechts. Fast wie die Kollektionswechsel in der Mode oder in der Autobranche.
Es scheint ein ständiges Abwägen zu sein, wo die besten Chancen für die eigenen Interessen sind. Das ist ein bisschen wie selbstständig sein und den Markt ausnutzen. Nur, dass man sich die Produktionskosten und die Abgaben erspart, denn der Eigengewinn wird von den Steuergeldern oder verpflichtenden Beiträgen der Masse bezahlt.
Warum gehen die Einen, warum bleiben die Anderen, und was haben die Wechsler gemeinsam? Vor allem dies: Sie wollen nicht verglichen werden, ihr Ich tut sich schwer, im Wir aufzugehen. Wahrhaftigkeit, Treue und Verrat sind Schlüsselbegriffe, die in jedem Gespräch mit prominenten Parteiwechslern fallen.
Aber auch bei Personalvertretungs- und Gewerkschaftswahlen gehören Fraktionswechsel mittlerweile bei zum Alltag. Nur: Nicht immer geht die Sache gut aus, weder für die WechslerInnen noch für die Fraktionen. Die Fraktion zu wechseln, ist so etwas wie Emigration. Wer es tut, lädt sich ein kaum tragbares politisches Handicap auf: Seiner alten Fraktion gilt er/sie als Verräter/in, der neuen als „verdächtige/r Fremde/r“.

Politik vertritt nur noch ihr eigenen Interessen

Die Tätigkeit, oder besser das Engagement, in Personalvertretung und Gewerkschaft ist unbestritten eine politische. Die Landschaft ist auch bei der Stadt Wien eine weite. Der Wähler/die Wählerin kann zwischen allerlei parteipolitischen Anhängseln und den Unabhängigen entscheiden. Alle fünf Jahre wird ein demokratisches Miteinander ermöglicht: Wahlen für alle Mitarbeiter und MitarbeiterInnen der Stadt Wien. Da wird darüber entschieden, wer oder welche politische Kraft die Interessen der KollegInnen vertreten soll.
Das bedeutet aber auch, dass zumeist ein Jahr vor den Wahlen um Mitarbeit geworben wird, denn die Vertretung will gut aufgeteilt und organisiert werden. Schließlich hat jede Mitarbeiterin/jeder Mitarbeiter Anspruch auf Vertretung. Nicht nur im Ernstfall bei dienstlichen Schwierigkeiten, sondern auch bei Fragenstellungen rund um Bezahlung, Überstunden, Dienstbeurteilungen, etc.
Dieses Werben fängt ganz oft im unmittelbaren Umfeld an. Nicht nur bei den KollegInnen an den Dienststellen, sondern auch bei anderen Fraktionen. Nicht selten wird mit Versprechungen von beruflichen Verbesserungschancen, finanziellen Anreizen oder anderen „Goodies“ ein Übernahmeangebot gestartet. Da stellt sich doch die Frage: Was ist politische Überzeugung Wert? Wofür stehen die, die uns vertreten wollen/ sollen?

An der Spitze der Moralpyramide?

Die Äußerung eines ehemaligen österreichischen Kanzlers, dass die Politiker an der Spitze der Moralpyramide stehen müssen, ist bemerkenswert, zeigt sie doch deutlich, dass auch Politiker davon überzeugt sind, dass moralische Wertvorstellungen für die Politik wichtig sind. Die politische Realität lässt manchmal jedoch Zweifel daran aufkommen. Ersetzt man in der Aussage das Wort „müssen“ durch „sollten“, ist der Forderung vorbehaltlos zuzustimmen. Dabei erhebt sich sofort die Frage, welche Moral gemeint ist, da moralische Vorstellungen oft mit religiösen Werten verknüpft sind. Die allgemeinen Menschenrechte sind wohl nur ein geringer Teil dessen, was für eine tragfähige gesellschaftliche Moral nötig ist. Dazu gehören neben demokratischen Grundsätzen auch Menschenpflichten wie Anständigkeit, Respekt, Friedfertigkeit, Toleranz, Sorgfalt, Fleiß und Mitgefühl, um ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu ermöglichen.
Abschließend sei angemerkt, dass trotz alledem Trennungen beizeiten besser sind, als unglückliche Verbundenheit. Der Wähler/ die Wählerin darf wissen, wofür der Mensch steht, der im Fall des Falles die Interessen vertreten soll.
Was wir jedoch im Zusammenhang mit den „Bäumchen-wechsel-dich“-Spielchen verurteilen, sind der Korruption naheliegende Mechanismen: Versprechungen, wie finanzielle Anreize, beruflicher Aufstieg, dienstliche Erleichterungen,…
Übrigens: Mobbing unter oder ausgehend von PersonalvertreterInnen und GewerkschafterInnen ist kein Kavaliersdelikt und kann ebenso zur Anzeige gebracht werden, wie in allen anderen Fällen.

Persönliche Anmerkung der Autorin: Durch meine jahrelange Tätigkeit als Personalvertreterin und Gewerkschafterin durfte ich viele KollegInnen anderer Fraktionen kennen- und schätzen lernen. Auch von der Mehrheitsfraktion, der FSG. Meine Wertschätzung und Respekt ist jenen gegenüber ungebrochen, die ihre politische Überzeugung leben und im Sinne der Demokratie auch andere Meinungen und Fraktionen zulassen. Und nicht dem Irrglauben unterliegen, dass eine politische Ausrichtung reicht. Euch und uns wünsche ich eine spannende und erfolgreiche Wahlzeit. Gewerkschaftlich gesprochen: Glück auf!

Grafik: Dooder / Freepik

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