Bildungs­forscherin Herzog-Punzenberger über religiöse Sektierer in Kindergärten.

Lisa Nimmervoll vom Standard im Interview mit der Migrations- und Bildungsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger über religiöse Sektierer in Kindergärten, Österreichs „religionsfreundliche“ Haltung im Schulwesen und soziale Segregation in privaten Bildungsstätten.

STANDARD: Um die islamischen Kindergärten ist eine heftige Debatte ausgebrochen – ausgelöst durch eine Studie, die Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) bei Ednan Aslan, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Uni Wien, in Auftrag gegeben und schon im Stadium der „Vorstudie“ veröffentlicht hat.

Es geht um Missionierungs- und Abschottungs­vorwürfe gegenüber einigen islamischen Kindergärten in Wien. Was leiten Sie aus dieser Debatte ab?

Herzog-Punzenberger: Österreich ist bekannt für seine religionsfreundliche Haltung im Schulwesen – es dürfen nicht nur alle anerkannten Religionsgemeinschaften Religionsunterricht in der öffentlichen Schule anbieten, sondern die Religionspädagoginnen und -pädagogen werden sogar vom Staat bezahlt. So weit, so gut. Was aber bis zum Ende des verpflichtenden Schulbesuchs eine viel grundsätzlichere Frage darstellt, ist die der Trägerschaft von Bildungseinrichtungen.

Und das berührt die sehr grundsätzliche Auffassung vom Verhältnis zwischen privaten und öffentlichen Bildungseinrichtungen in der Phase der sekundären Sozialisation, also während der soziokulturellen Integration jedes Kindes und Jugendlichen in die Gesellschaft.

Ein muslimischer Kindergarten in Wien-Favoriten: Rund 150 soll es davon in Wien geben, auf ihrer Homepage listet die Islamische Glaubensgemeinschaft neun solcher privater Kindergärten und Horte auf.

STANDARD: Die islamischen Kindergärten stehen ja nur exemplarisch für den gesamten Sektor der privaten Einrichtungen, die es neben dem öffentlichen Angebot gibt.

Herzog-Punzenberger: Ja, und dabei gilt es mindestens zwei Dimensionen zu bedenken: die Sozialisation des einzelnen Kindes und die Zusammensetzung der Kinder – und damit ihrer Familien in jeder dieser Einrichtungen. Während die primäre Sozialisation eines Kindes in der Familie stattfindet und sozusagen die „Grund­ausstattung“ an emotionalen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten erbringt, sind außerfamiliäre Institutionen für die Integration jedes Individuums in die moderne, plurale Gesellschaft verantwortlich.

Das ist insofern wichtig, als es hier in Österreich, anders als in Gesellschaften, die über Verwandtschaftsclans, also die erweiterte Familie, organisiert sind, in einer demokratischen, republikanischen, wohlfahrtsstaatlichen, sozial und kulturell vielfältigen Gesellschaft, bestimmte Fähigkeiten braucht, die gerade nicht in der Familie erlernt werden können.

STANDARD: Die da wären?

Herzog-Punzenberger: Das sind nicht nur kognitive Kompetenzen, sondern – zunehmend wichtiger – soziale, emotionale und politische Kompetenzen. Vorbereitung auf eine faktisch immer vielfältiger werdende Welt braucht schichtmäßig, sprachlich und kulturell vielfältige Klassen und Schulen. Allerdings lernen Kinder und Jugendliche erst unter der Anleitung von kompetenten Pädagog­innen und Pädagogen in solcherart vielfältigen außerfamiliären Institutionen ihre Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit erkennen und erproben.

Das Ziel dabei ist, Verantwortung für das gemeinsame Wohl und Gefühle der Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Diese positiven Erfahrungen sind die beste Basis gegen die Verführungen von Sektiererei, Verschwörungstheorien und Radikalisierung in jede Richtung.

STANDARD: Und was heißt das für die Rolle privater Bildungsträger?

Herzog-Punzenberger: Bei der aktuellen Diskussion um islamische Kindergärten steht die Segregation im Sinne der Religion im Blickpunkt. Dabei gerät die Segregation nach sozialer Schicht und nach Einwanderungsgeschichte in den Hintergrund.

Aber Faktum ist: Die private Trägerschaft von Kindergärten und Schulen führt in den allermeisten Fällen zu Segregation. Privatschulen verfügen über eine andere Zusammensetzung der Schülerschaft als die in denselben Bezirken liegenden öffentlichen Schulen.

STANDARD: Wie sieht die Verteilung nach bestimmten Kriterien aus?

Herzog-Punzenberger: Das ist statistisch leicht festzustellen. Der Anteil der Eltern, die über einen höheren Bildungsabschluss und eine höhere berufliche Position verfügen, ist in den privaten Institutionen wesentlich höher. In vielen Schulbezirken ist es auch sehr auffällig, dass der Anteil von Kindern aus zugewanderten Familien in den privaten Einrichtungen wesentlich niedriger ist, manchmal sogar bei wenigen Prozenten oder null, während der Durchschnitt der umliegenden öffentlichen Schulen über 20 oder 30 Prozent liegt.

Die Zahlenverhältnisse zeigen, dass den Kindern und Jugendlichen privater Einrichtungen oftmals vorenthalten wird zu lernen, wie in sozial und kulturell vielfältigen Teams gespielt, gearbeitet und gemeinsam Ziele erreicht werden. Dies ist aber ein notwendiger Baustein, um Vorurteile abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Und, nebenbei gesagt, Charity-Aktionen können die Verantwortung für Ungleichheit höchstens überpinseln, den Alltag des Zusammenlebens und Zusammenlernens aber nicht ersetzen.

Ein katholischer Kindergarten in Rudolfsheim-Fünfhaus: Im Sitzkreis rund um das christliche Kreuz soll den Kindern unter anderem auch die „Frohbotschaft des christlichen Glaubens“ weitergegeben werden.

STANDARD: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus für die Frage, wer für wen welche Bildungsangebote machen soll?

Herzog-Punzenberger: Aufgrund der Aufgabe pädagogischer Einrichtungen, Kinder und Jugendliche in die Gesellschaft zu integrieren, steht für mich die private Trägerschaft von Bildungs­einrichtungen während dieser Phase grundsätzlich infrage. Während am einen Ende Kindergärten einem religiösen Sektierertum frönen, dienen am anderen Ende Privatschulen der Reproduktion von Eliten, die von den realen gesellschaftlichen Verhältnissen von Kindheit an relativ wenig Ahnung haben.

Das führt weder zur Weiterentwicklung einer demokratischen, republikanischen, wohlfahrtsstaatlichen Gesellschaft, noch stärkt es die gemeinsame Wertebasis für unser vielfältiges Österreich. Darum sollten wir die private Trägerschaft bei Kindergärten und Schulen abschaffen – oder aber unterziehen wir sie einem grundsätzlichen Wandel, der an der Wertebasis unserer Gesellschaft orientiert ist.

STANDARD: Leichter gesagt als getan. Wie könnte diese Abschaffung der Privatschulen und -Kindergärten konkret realisiert werden?

Herzog-Punzenberger: Dort, wo es möglich ist, würden die Einrichtungen von der öffentlichen Hand übernommen, und wo dies nicht möglich ist, muss man sich überlegen, wie die Schülerinnen und Schüler auf die öffentlichen Einrichtungen der Nachbarschaft aufgeteilt werden können. Grundsätzlich gehört jede Wohnadresse zu einem Schulsprengel, und das gilt zumindest für die ersten neun Schulstufen. Es sollte doch möglich sein, dass die Kinder aller Familien gemeinsame öffentliche Schulen besuchen. Das genaue Prozedere der Überführung müsste man im Detail gut überlegen.

STANDARD: Und die Alternative „grundsätzlicher Wandel“ – wie könnte der bewerkstelligt werden?

Herzog-Punzenberger: Der grundsätzliche Wandel betrifft das Bewusstsein. Es muss den Verantwortlichen von pädagogischen Einrichtungen, den Eltern und den Pädagoginnen und Pädagogen völlig klar werden, dass Selektion und Abschottung nach Schichthintergrund für den Zusammenhalt der Gesellschaft einen Preis hat, und sie sollten sich fragen, was sie dagegen tun. Wenn die soziale Zusammensetzung der Familien stark von jener der Nachbarschaft oder des Gemeindedurchschnitts abweicht, ist die Frage, ob die öffentliche Unterstützung durch Lehrergehälter überhaupt noch gerechtfertigt ist.

Die Wertebasis und ihre alltägliche Einübung muss in den pädagogischen Einrichtungen ebenso wichtig sein wie die kognitiven Ziele, denn Wissen und Intelligenz bewahren weder vor Opportunismus, Teilnahmslosigkeit oder grauenhaften Gesellschaftsentwürfen. Öffentliche Institutionen sind davon nicht ausgenommen, aber viele Standorte haben grundsätzlich schon größere Herausforderungen zu bewältigen als jene in privater Trägerschaft, nicht zuletzt wegen der Abwanderung in private Parallelinstitutionen.

Quelle: Original-Artikel mit weiteren Informationen

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