Die Frage, wer welchen Zugang zu unserem Gesundheits- und Sozialsystem hat, ist zentral für die Frage wie wir miteinander umgehen. Hier entscheidet sich, ob wir den sozialen Frieden bewahren können oder nicht.

Wenn die Absicherung gegen soziale Risiken wie Alter und Krankheit nicht über die staatlichen Sozialsysteme erfolgt, bedarf es entsprechender privater oder betrieblicher Systeme, die natürlich ebenfalls finanziert werden müssen. Dies schlägt sich – direkt oder indirekt – auch auf die Arbeitskosten durch, etwa wenn US-Firmen für die privaten Krankenversicherungsprämien ihrer Beschäftigten aufkommen müssen.

Dabei ist die Absicherung über private oder betriebliche Vorsorge keineswegs immer kostengünstiger und effizienter als ein staatliches System. Die Gesamtkosten der weitgehend privatwirtschaftlich organisierten Gesundheitssysteme der USA oder der Schweiz liegen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – deutlich über denen in Deutschland. Auch die gesetzliche Rentenversicherung braucht den Vergleich mit der betrieblichen und privaten Altersvorsorge nicht zu scheuen, deren Verwaltungskosten beträchtlich und Renditeerwartungen unsicher sind.

Der Sozialstaat darf aus volkswirtschaftlicher Perspektive nicht auf die Rolle eines unproduktiven Kostgängers reduziert werden. Vielmehr schafft er erst die Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit einer modernen Volkswirtschaft. Die sozialen Dienstleistungen tragen dazu bei, die Arbeitsmarktchancen für zahlreiche Gruppen nachhaltig zu stärken.

So verbessern öffentlich finanzierte Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch die Wirtschaft profitiert von einer ausreichend finanzierten staatlichen Gesundheitsvorsorge. Und viele Langzeitarbeitslose würden ohne die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung noch schwerer als ohnehin schon den Weg zurück auf den ersten Arbeitsmarkt finden. Ein aktivierender Sozialstaat fördert also Investitionen in das individuelle Arbeitsvermögen, die sich langfristig auszahlen

Gesamtwirtschaftlich betrachtet erfüllen die Sozialsysteme eine wichtige Funktion als automatische Stabilisatoren. Das heißt, dass sie in ökonomischen Abschwungphasen dazu beitragen, den Ausfall der Nachfrage zumindest teilweise kompensieren und Beschäftigung stabilisieren.

Nicht zuletzt reduziert der Sozialstaat die Ungleichheit der Einkommen und entschärft damit auch gesellschaftliche Spannungen. Es dürfte kein Zufall sein, dass Probleme wie Kriminalität, Drogenkonsum oder Teenagerschwangerschaften in den gut ausgebauten Sozialstaaten seltener auftreten als in Ländern mit einem weitmaschigeren sozialen Netz. Die jüngsten Krawalle in Großbritannien zeigen, welche immensen Kosten für Staat und Gesellschaft entstehen können, wenn der soziale Friede auseinanderbricht. Er ist aber nicht zum Nulltarif zu haben.

Auszüge aus dem Spiegel Online, 29.11.2011, Autor: Joachim Möller

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