42 Prozent der Alleinerziehenden leben in Österreich mittlerweile in Armut. Das ist fast jede zweite und die Regierung weiß Bescheid.

Im Koalitionsübereinkommen nach der Nationalratswahl 2013 wurde beschlossen, das Unterhaltsvorschussgesetz zu modernisieren, das die Hauptschuld an dieser speziellen Form der Armut trägt, und ich frag mich, wie das Gesetz heute, im Herbst 2016, aussehen würde, wenn 93 Prozent der Alleinerziehenden Männer wären. Denn zur Reform hat sich noch nicht einmal eine Arbeitsgruppe eingefunden.

Alleinerziehende sind Leistungsträgerinnen,

die öfter Vollzeit arbeiten als Mütter in Partnerschaften (Statistik Austria 2012) und die ihre Fähigkeiten – zum Erhalt der Republik – täglich erfolgreich unter Beweis stellen. Aufgrund der strukturellen Benachteiligungen weiß jedoch fast jede Zweite am Monatsende nicht, wie sie über die Runden kommen soll:

  • Sie spart am Essen, an der Kleidung,
  • verschiebt die Zahlung von Rechnungen, was teuer werden kann,
  • verzichtet auf Bücher und Zeitungen, auf Eis und Schwimmen gehen, obwohl ihre Kinder dringend Bewegung an der frischen Luft bräuchten,
  • und sie kommt am Abend selten zur Ruhe, weil sich ihre Gedanken ums Geld wie in einem Hamsterrad drehen, während sie um 22.30 Uhr die Wäsche aufhängt und noch schnell ins Kinderzimmer huscht, um aufzuräumen, während sie versucht, nicht daran zu denken, dass sie sich auch in diesem Jahr keinen Kindergeburtstag für die fünfjährige Tochter leisten kann.

Die Armutsbetroffenheit von 42 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte ist ein stiller Skandal. Dass das so ist, hat viele Ursachen. Zum einen redet niemand gerne über die persönliche Armutsbetroffenheit. Man vertuscht sie lieber, was zusätzliche Kraft kostet, da auch bei uns das Dogma des amerikanischen Traumes gilt und die damit verbundene Individualisierung der Lebenschancen.

Das verhöhnt die Realität genauso wie ihre Opfer,

die in diesem Fall Kinder sind. Kinder, die in Armut aufwachsen, in einem der reichsten Staaten der Welt. Wer sich aber schämt, statt aufzustehen, wird übersehen. Zum anderen erleben wir einen feministischen Backlash, in dessen Brennpunkt Frauen stehen, die sich, trotz Kinder für ein vorübergehendes Leben ohne Mann entschieden haben.

Außerdem haben wir nach dem Missmanagement, das der Finanzkrise 2008 folgte, längst Nebenschauplätze gefunden, auf denen das Hauptaugenmerk liegt. Solange man Schlagzeilen mit rechtem Gedankengut machen kann, muss man sich nicht in den Spiegel schauen und kann, wie zum Beispiel Reinhold Lopatka, behaupten, dass es in Österreich keine Kinderarmut gibt.

Die Politik weiß,

dass die Lücken im Unterhaltsvorschussgesetz zu den Hauptursachen der Kinder-und Jugendarmut von Allein­erziehenden zählen. Laut Befragung der „Österreichischen Plattform für Alleinerziehende“ aus dem Jahr 2014 bekommen 54 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Alleinerziehenden zu wenig (gemessen an den Regel­bedarfssätzen) und 18 Prozent gar keine Alimente oder Unterhaltsvorschuss – auch weil sie auf den Ämtern falsch beraten werden.

Da ein Unterhaltsvorschuss nur dann ausgezahlt wird, wenn sich der Staat das Geld vom Unterhaltspflichtigen zurückholen kann (Regressleistung), bekommen viele Kinder sehr wenig (zum Beispiel monatlich 54 Euro) oder nichts.

Mit dem Unterhalts­herabsetzungs­antrag, der jederzeit und wiederholt vom Unterhaltspflichtigen gestellt werden kann, gibt es ein staatliches Instrument, das den Unterhaltsvorschuss ab Antragsstellung zum Beispiel von 250 Euro auf 30 Euro herabsetzen kann – bis bewiesen ist, dass der Unterhaltspflichtige mehr zahlen könnte. Das dauert Monate und auch Jahre.

Das ist auch volkswirtschaftlich betrachtet schädlich.

Wir wissen, dass die lebenslangen Folgekosten von Kinder- und Jugendarmut in zumindest drei Bereichen von uns Steuerzahlenden zu zahlen sind:

  • Bildung – in Österreich sind die Bildungschancen eines Kindes am Lohnzettel der Eltern zu finden.
  • Gesundheit – die armen Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen (die Armutskonferenz).
  • Justiz – Jugendliche, die in Armut aufwachsen, werden leichter kriminalisiert und radikalisiert. Die Gerichtsprozesse wegen Unterhaltsfragen kosten ebenfalls und binden Personal.

ExpertInnen sind der Meinung, dass hier präventive Maßnahmen günstiger wären. Eine Kindesunterhalts­sicherung wäre so eine Maßnahme.

Diese beinhaltet einen Mindest­betrag (als Äquivalent zur Luxusgrenze, die es gibt) an Unterhaltszahlungen in Höhe der Regel­bedarfssätze, eine Koppelung an die Familienbeihilfe statt der Einstellung zum 18. Geburtstag und die sofortige Streichung der Paragrafen 16 und 19 des Unterhaltsvorschussgesetzes, die die Innehaltung beziehungsweise dauerhafte Herabsetzung mit sofortiger Wirkung ermöglichen, was in Europa einzigartig ist.

Wie viel Geld eine Kindesunterhaltssicherung

im Vergleich zu den jetzigen Ausgaben – allein in der Justiz – kosten würde, kann man nicht sagen. Es gibt keine Zahlen.

Weder wissen wir,

wie viele Unterhaltsherabsetzungsanträge im Jahr 2015 gestellt wurden, wie lange die durchschnittlichen Wartezeiten waren, in denen geprüft wurde, wie viel der Unterhaltspflichtige tatsächlich zahlen könnte, noch kennen wir die Differenz der ausgezahlten Unterhalts­vorschüsse vor und nach Antragsstellung auf Herabsetzung. Dabei geht es hier um Steuergelder.

Wir wissen auch nicht,

wie viel Geld die wiederholten Gerichtsverfahren kosten, die entstehen, weil sich ehe­malige Partner angesichts der drohenden Armut vor dem Gesetz bekämpfen, was nachhaltige Folgen für das Kindeswohl hat.

Wir wissen auch nicht,

wie hoch die getätigten Unterhaltsvorschüsse im Vergleich zu den Regelbedarfssätzen sind, obwohl es sich auch hier um Steuergelder handelt, deren gewissenhafte Verwaltung Aufgabe des Staates ist.

Die seit Jahren von der Politik angekündigte Kinderkostenanalyse, die als Grundlage einer Reform des Unterhaltsgesetzes vorgeschoben wird, ist nach wie vor in Planung.

Ich empfehle, ebenfalls seit Jahren, die existierenden Referenzbudgets der Schuldnerberatung beziehungsweise die Regelbedarfssätze heranzuziehen, wenn es darum geht, Zahlungen im Sinne des Kindeswohls zu tätigen und nicht, wie derzeit gehandhabt, die Zahlungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners als Bemessungsgrundlage zu nehmen.

Statt die Modernisierung des Unterhaltsgesetzes endlich voranzutreiben,

wird es unterdessen schlimmer. Viel schlimmer. Im November 2015 gab es eine EU-Ratsempfehlung zur Doppelresidenz als Regelmodell, die vor Gericht bereits angewandt wird.

Doppelresidenz bedeutet „gleichteilige Betreuung“, ist generell zu begrüßen und wird von Eltern, die trotz Trennung gut miteinander auskommen und das notwendige Geld haben (doppelte Lebensführungskosten), bereits seit Jahrzehnten praktiziert.

Finanziell schlechter gestellte und zerstrittene Elternteile werden aufgrund der Empfehlung wahrscheinlich in zunehmendem Maße vor Gericht ziehen, da nun schon ab einem Betreuungsschlüssel von 70/30 jegliche Ansprüche auf Alimente beziehungsweise Unterhalts­vorschüsse entfallen, wenn die Einkommensdifferenz nicht mehr als ein Drittel beträgt.

Das bedeutet, dass die alleinerziehende Mutter, wenn der Vater die Kinder mehr als neun Tage im Monat betreut, keinen Anspruch mehr auf Zahlungen hat. Auch wenn sie, aufgrund des Gender Pay Gaps system­bedingt weniger verdient.

Armut

Das wird für die Hauptverantwortliche unweigerlich zu mehr Armut führen, da die Kosten für Wohnen, Kleidung, Schule etc. bleiben, der Unterhaltsbeitrag jedoch entfällt.

Einkommenseinbußen durch geleistete Familienarbeit der Frau (Karenz, Teilzeitarbeit etc.) werden hier nicht berücksichtigt. Das Recht auf einen Ausgleich, wegen annähernd gleich zu stellender Lebensstandards des Kindes in beiden Haushalten, wird erst ab einem Einkommens­unterschied von dreißig Prozent gewährt, während die Unterhaltshöhe ab einer Minderung des Einkommen um zehn Prozent herabgesetzt werden kann.

Dass eine Mutter, die bis zu siebzig Prozent der Erziehungs- und Bildungsarbeit leistet und bis zu dreißig Prozent weniger verdient, keinen Unterhalt mehr erhält, kann nicht im Interesse der Kinder sein und wird zu einem dramatischen Anstieg der Armut beziehungsweise zermürbenden Auseinandersetzungen vor Gericht führen.

Was man gegen die Entwicklung tun kann? Viel.

  1. Darüber reden. Auch in der Öffentlichkeit und besonders in den Medien
  2. auf forumkindesunterhalt.at unterschreiben, Unterschriftenlisten downloaden und unterzeichnet zurücksenden
  3. mit einem Foto und einem kurzen Statement Stellung beziehen
  4. die politischen Kontakte nützen
  5. Alleinerziehende über die Kindesunterhaltssicherung informieren und ihnen den Rücken stärken, damit sie sich aus der selbst auferlegten Schuldfalle befreien können und die Kräfte mobilisieren, die es brauchen wird, um auf den stillen Skandal aufmerksam zu machen, der vielleicht bald ein lauter und wirkungsvoller sein wird. Auch im Kampf gegen Rechts.

Geschrieben von Maria Stern, Obfrau vom Forum Kindesunterhalt, Singer-Songwriterin, Autorin und Tanzlehrerin.

Quelle: Die Alternative

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