Am Gesund­heits­system wird seit Jahrzehnten herumgepfuscht.

Bücher, Studien: Vier Tipps zum Nachlesen

Selbstbehalte, Personaleinsparungen, Investitionsstopps, Kompetenzumschichtungen, Auslagerungen, Einführung marktwirtschaftlicher Komponente (sogenannte Ökonomisierungen): Am Gesundheitssytem wird seit Jahrzehnten herumgepfuscht.

Begründet wird das gerne mit einer dringend notwendigen Eindämmung der angeblich exorbitant steigenden Kosten bzw., wie es unter Blau-Schwarz war, auch mit der Maxime „Weniger Staat, mehr privat“, und jede/r neue politische MachthaberIn schnippelt hier ein bisschen, dort ein bisschen. Auf tatsächlich qualifizierte Hilfe, nach den Rosskuren der letzten Jahre, wartet das Gesundheitssystem allerdings bisher vergeblich – dabei hätte es sie mittlerweile dringend nötig.

Warum wird überhaupt herumgemurkst?

Besonders gerne wird der Begriff der „Kostenexplosion“ ­verwendet, wenn wieder einmal eine Einsparung im Gesundheitswesen ansteht. Dabei ist die angebliche Kostenexplosion ein Märchen, es gibt sie nicht. Es stimmt zwar, dass sich die Höhe der Summe, die der Staat Österreich für Gesundheitsversorgung ausgegeben hat, zwischen 1990 und 2013 verdreifacht hat, allerdings ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in dieser Zeit ähnlich gewachsen. Der Anteil der staatlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen am österreichischen BIP ist in den letzten gut fünfundzwanzig Jahren also tatsächlich nur moderat gestiegen, von 8,4 Prozent im Jahr 1990 auf 9,8 Prozent im Jahr 2000 und schließlich auf 10,8 Prozent des BIPs im Jahr 2013 (Quelle: Statistik Austria).

Es muss also festgestellt werden, dass bisher keine Kostenexplosion stattgefunden hat, weder durch demographischen Wandel, noch durch den medizinischen Fortschritt. Wer also Einsparungs­maßnahmen im Gesundheitssystem auf eine angebliche Kostenexplosion schiebt, versucht damit durch die Hintertür, eine wirtschaftsliberale Politik voranzutreiben sowie Einschnitte in die Sozialpolitik und eine voranschreitende Privatisierung der ­sozialen Sicherungssysteme zu rechtfertigen.

In die falsche Richtung: Von wegen Sparen!

Der Staat erspart sich durch die momentan so gerne vorangetriebene marktwirtschaftlichere Ausrichtung des Gesundheitssystems und eine zunehmende Verlegung in den Privatbereich (private Versicherungen, private Krankenhäuser, etc.) übrigens keinen Cent – im Gegenteil: Die USA als das Land mit dem wettbewerbsorientiertesten Gesundheitssystem verzeichnen den weltweit höchsten Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP (18 Prozent).

Das ist genauso wenig nachahmenswert, wie das chilenische Gesundheitssystem, das in den 1980er Jahren privatisiert wurde, mit dem Ergebnis, dass die Ausgaben für den Staat gestiegen sind und der Versicherungsschutz gesunken ist. Ein aus solidarischen Beiträgen finanziertes Gesundheitssystem ist für den Staat also auch rechnerisch sinnvoller, als ein zunehmend privatisiertes!

Doch auch die gerne vorgenommenen Einsparungen beim Personal kommen teuer, und zwar auf mehr als einer Ebene. Ein Beispiel: Im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) arbeiten etwa 30.000 Menschen; das Budget des KAV beträgt 3,7 Milliarden Euro. Im Krankenhaus machen die Personalkosten allgemein 60 bis 70 Prozent der Gesamtkosten aus, der KAV gibt also etwa 2,4 Milliarden Euro für sein Personal aus. Es erstaunt daher wenig, dass im Personalbereich besonders gerne der Rotstift angesetzt wird. Allerdings fehlen nach Schätzungen von ExpertInnen schon jetzt an die zehn Prozent Personal im Gesundheitswesen – und damit auch im KAV; und das fällt auf zwei Arten auf den Wiener Krankenanstaltenverbund zurück:

Zum einen verursachen dem KAV Burnout und fehlendes Personal bzw. nicht nachbesetzte Stellen durch die entstehenden Überstunden, wenn andere Beschäftigte für ihre ausgebrannten oder fehlenden KollegInnen einspringen müssen, und die verminderte Arbeitsleistung durch Burn-out schon jetzt durchschnittlich 432,9 Millionen Euro an Zusatzkosten pro Jahr – das sind immerhin 18 Prozent des jährlichen Gesamtbudgets, die bei einem entsprechenden Personalspiegel deutlich gesenkt werden könnten. Es käme dem Wiener Krankenanstaltenverbund und dem gesamten Gesundheitssystem billiger und entlastete gleichzeitig die Beschäftigten, wenn die fehlenden Arbeitskräfte schnellstmöglich eingestellt würden, statt ihre Stellen allein durch teurere Überstunden abzudecken.

Doch Personalknappheit hat auch noch weitere, teure Konsequenzen, die besonders in der Pflege schwerwiegende Folgen für die PatientInnen nach sich ziehen: Eine Schweizer Studie (RICH Nursing Studie), die tatsächlich in Krankenhäusern durchgeführt wurde, untersuchte die Auswirkung der Rationierung, also Einschränkung, von Pflegetätigkeiten, wie sie von überlastetem Pflegepersonal notgedrungen vorgenommen werden muss. Das Ergebnis der Studie ist alarmierend:

Bereits eine sehr geringe Rationierung der Pflege bewirkte ein deutlich erhöhtes Auftreten von Medikamentenfehlern, Krankenhausinfektionen, Wundliegen und kritischen Zwischenfällen (z. B. durch zu spätes Reagieren auf medizinische Notfälle). Nicht verwunderlich, dass gleichzeitig die PatientInnen­zufriedenheit sank – und dass die AutorInnen der Studie empfahlen, von weiteren gleich angelegten Studien über die extreme Rationierung von Pflege abzusehen.

Zwischenfälle und Infektionen, die von einem völlig überlastetem Pflegepersonal nicht verhindert werden können, sind ­allerdings nicht nur für die PatientInnen unangenehm und im Extremfall sogar tödlich, sondern durch notfallmedizinische Maßnahmen und längere Krankenhausaufenthalte auch ­extrem kostenintensiv. Man geht allein für die Schweiz von jährlich weit über 330 Millionen Euro Zusatzkosten aus, die durch teilweise leicht vermeidbare Infektionen verursacht werden.

Beim Personal sparen kommt also doppelt teuer! Insgesamt bringt die momentane, wirtschaftsliberale Ausrichtung in der Gesundheitspolitik nur teure Verschlechterungen, die das staatliche Gesundheits­system und seine völlig überarbeiteten Beschäftigten an ihre absoluten Grenzen bringen – und vielleicht auch bringen sollen.

Lasst es sterben!

Was passiert, wenn in einem System, das wir ausnahmslos alle für unsere Gesundheit und unsere Lebensqualität brauchen, fröhlich weiter gekürzt, ökonomisiert und privatisiert wird? Darf der Staat überhaupt bei der Gesundheit seiner BürgerInnen sparen? Und welche Folgen hätte die von manchen angestrebte, völlige Deregulierung des Gesundheitswesens im marktwirtschaftlichen Sinn?

„Es wäre töricht, Markt, Wettbewerb und das Spiel von Angebot und Nachfrage für Einrichtungen zu halten, von denen wir auf allen Gebieten und unter allen Umständen das Beste erwarten können, und ohne nähere Betrachtung der ­jeweiligen konkreten Umstände stets dieselbe ökonomische Empfehlung abzugeben, nämlich: mehr Markt, weniger Regulierung, mehr Privatisierung.“ (Dietz 239) Denn eine völlige Deregulierung des Gesundheitswesens im marktwirtschaftlichen Sinne bedeutet nicht, dass jede/r PatientIn weiterhin uneingeschränkten Zugang zu Gesundheitsgütern hat, im Gegenteil:

Wer das Gesundheitssystem zu Tode kürzt, strebt eine medizinische Minimalversorgung an, bei der wichtige Leistungen nur durch private Zuzahlungen möglich sind und wo nur die, die es sich leisten können, gesund bleiben. Eine solche Zweiklassenmedizin wäre zwar privaten Unternehmen äußerst Recht, hätte aber vor allem eine wachsende Unterversorgung ärmerer ­PatientInnen sowie von PatientInnen in ländlichen Gegenden und von PatientInnen mit seltenen Erkrankungen zur Folge.

Gesundheitsfürsorge ist aber ein Menschenrecht und der gleichberechtigte Zugang zur Gesundheits­versorgung, unabhängig vom Einkommen, ist unter anderem ein wichtiger ­Faktor für Chancengleichheit und für die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens.

Gesundheit darf also keineswegs von der Zahlungsfähigkeit der/s Einzelnen abhängen, stattdessen muss unsere solidarisch, das heißt durch die Beiträge aller, finanzierte Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau erhalten bleiben bzw. weiter ausgebaut werden.

..oder lieber doch nicht?

Aufgabe einer tatsächlichen Gesundheitspolitik wäre es demnach, Regelungen zu schaffen, die einen effizienten Umgang mit den Ressourcen im Gesundheitswesen fördern. Diese ­Regelungen dürfen jedoch nicht den Zielen der ­Medizin (dem Wohl des Patienten) und der Gesundheitspolitik (die ausreichende und effiziente Versorgung aller Gesellschaftsmitglieder mit medizinisch notwendigen Leistungen von hoher Qualität) widersprechen.

Personaleinsparungen und Privatisierungen sind somit keinesfalls ein zukunftsweisender Weg aus einem angeblichen Dilemma – denn ja, unser Gesundheits- und Sozialsystem kostet, aber muss es uns das nicht wert sein?

Immerhin spielt der solidarische Sozialstaat, und darin insbesondere das Gesundheitssystem, eine maßgebende Rolle für die Erfüllung der Aufgabe der Politik, nämlich den gesellschaftlichen Frieden und die Achtung der Würde der Menschen zu wahren, denn beides wäre durch die Vorenthaltung von ­Lebenschancen und das Zulassen von Armut infolge von Krankheit gefährdet.

Jeder Politikerin und jedem Politiker, der/ die sich (wohlgemerkt mit einem guten Posten in der Privatwirtschaft in Ausblick) angesichts dieser Aufgabe die Haare rauft und fragt „Ja, woher sollen wir das Geld denn nehmen?“ sei gesagt: Wir wüssten da schon, wo das Geld zu holen ist, Stichwort Vermögens- und Erbschaftsteuer. Bemühts euch halt ein bissl für eure hohe Gage und lassts euch was einfallen. Dafür seid ihr ­gewählt; und zwar von einem Volk, das zum großen Teil nicht aus SchwerverdienerInnen wie euch besteht.

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