Überstunden sind fixer Bestandteil der Arbeitsrealität. Wer von der unfairen Verteilung der Arbeit profitiert, welche Wege es aus der Situation gibt.

Österreichs ArbeitnehmerInnen leisten im europäischen Vergleich überdurchschnittlich viele Überstunden, auch unbezahlte (Sorger, 95). Männer leisten zwar insgesamt öfter Überstunden, dennoch sind die Überstunden von Frauen öfter unbezahlt als die ihrer männlichen Kollegen (Famira-Mühlberger, 897).

Überstunden sind fixer Bestandteil der Arbeitsrealität in Österreich:

Im Jahr 2012, etwa, wurden bei uns 5,2 Prozent des gesamten Arbeits­volumens der unselbstständig Beschäftigten durch Überstunden erbracht – das sind 295,8 Millionen geleistete Überstunden.

23,1 Prozent aller Überstunden waren dabei unbezahlt (Famira-Mühlberger, 900). Am stärksten betroffen war hier die Gruppe der öffentlich Bediensteten: An die 10,5 Prozent von ihnen leisteten 2012 unbezahlte Überstunden (Famira-Mühlberger, 906).

Die Gründe, warum Mehrdienstleistungen im öffentlichen Dienst bzw. Mehrarbeit im privaten Bereich geleistet werden, sind dabei vielfältig. Bei einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs­forschung (Deutschland) gaben die Befragten an,

„dass sie sich der Überstundenarbeit schlecht entziehen können und/oder der Arbeitsumfang ohne Überstunden nicht zu bewältigen sei“
(Zapf, 11).

Unbezahlte Überstunden

werden allgemein vor allem dort geleistet, wo es ergebnisorientierte Arbeitsformen gibt, wo Angst um den Arbeitsplatz herrscht oder um einen Produktionsrückstand gegenüber anderen KollegInnen auszugleichen (Famira-Mühlberger, 897–898).

Bei der Stadt Wien scheint bei manchen Berufsgruppen die unbezahlte Mehrdienstleistung als fixer Bestandteil der Arbeit angesehen zu werden. So müssen im Krankenhaus- und Pflegebereich die wichtigen Dienstübergaben, bei denen wesentliche Informationen über den Zustand von PatientInnen an die Belegschaft der nächsten Schicht weitergegeben werden, in der Freizeit abgehandelt werden.

Für Arbeit- und DienstgeberInnen bringen Überstunden viele Vorteile:

  • Überstunden sind ein wesentliches Instrument zur Ausweitung der Arbeitskapazität
  • bei steigender Nachfrage und dienen als Kapazitätspuffer, bevor zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Durch unbezahlte Überstunden stellen Beschäftigte – wenn auch nicht gesetzeskonform – einem Unternehmen nicht nur Flexibilität in der Arbeitsorganisation, sondern auch finanzielle Flexibilität zur Verfügung. Außerdem können durch unbezahlte Überstunden Arbeitszeitbestimmungen umgangen werden (Famira-Mühlberger, 897). Zudem sind Überstunden in Österreich stark steuerlich begünstigt (Grüne/Ines Hofbauer, 2).

Nachteile

Doch Unternehmen, vor allem aber öffentliche DienstgeberInnen wie auch die Stadt Wien sollten von Überstunden Abstand halten, denn sowohl unbezahlte als auch bezahlte Überstunden wirken sich weitgreifend aus:

  • Durch unbezahlte Mehrdienstleistungen bzw. Mehrarbeit entstehen dem Staat Steuereinbußen, für die Arbeit- und DienstnehmerInnen entsteht dadurch eine Verringerung des effektiven Stundenlohns.
  • Weiters verstärkt sich durch die statistische Verteilung von bezahlten und unbezahlten Überstunden der Unpaid Gender Gap: Denn die Überstunden von Frauen sind öfter unbezahlt, gleichzeitig leisten aber Männer öfter Überstunden und sind so allgemein länger in der Arbeit – und so weniger für (unbezahlte) Aufgaben in den Bereichen Haushalt, Kindererziehung, etc. verfügbar.
  • Eine Verlängerung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit wirkt also einer gerechteren Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit entgegen und verstärkt traditionelle Geschlechterrollen (Grüne/Ines Hofbauer, 2) – negative Frauenförderung, sozusagen.

Doch auch bezahlte Überstunden haben negative Auswirkungen, denn überlanges Arbeiten macht krank, senkt die Produktivität und frisst Arbeitsplätze.

Es ist mittlerweile gut belegt, dass lange tägliche und wöchentliche Arbeitszeiten das Unfallrisiko erhöhen. Weiters wird es immer deutlicher,

„dass lange Arbeitszeiten die Leistung der Beschäftigten verschlechtern und das Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Herzerkrankungen, gastrointestinale sowie muskulo-skelettale Beeinträchtigungen erhöhen können“
(alles Wirtz, 30).

Auch die Europäische Kommission stellt fest, dass

„sich die Länge der Arbeitszeit in den Mitgliedstaaten offenbar umgekehrt proportional zur durchschnittlichen Produktivität pro Stunde verhält“
(Europäische Kommission, 7).

Der Einsatz von Überstunden bewirkt also tendenziell eine Verringerung der durchschnittlichen Produktivität. Lange Arbeitszeiten können darüber hinaus die Qualität der erbrachten Arbeitsleistung beeinträchtigen und durch eine gleichzeitige Erhöhung der Fehlerquote betriebs- und volkswirtschaftliche Kosten nach sich ziehen (Famira-Mühlberger, 897).

Unfaire Verteilung von Arbeit

Obwohl sich Überstunden hauptsächlich direkt auf die jeweiligen Beschäftigten auswirken, sind sie doch vor allem ein Problem der Gesamtgesellschaft, denn sie tragen zu einer unfairen Verteilung von Arbeit bei: Während die Einen in Arbeit ersticken, müssen sich immer mehr Menschen, vor allem Frauen, mit großteils ungewollten Teilzeitstellen zufrieden geben oder haben überhaupt keinen Arbeitsplatz.

Umgelegt auf eine 40-Stunden-Woche entsprechen die jährlich in Österreich geleisteten Überstunden der Arbeit von rund 150.000 Vollzeitbeschäftigten. Laut einer Berechnung der Statistik Austria wäre bei einer klugen Aufteilung eines Teils der Mehrarbeit und einem effektivem Abbau der Überstunden (bis ein Drittel weniger) ein beschäftigungswirksamer Effekt von 40.000 bis 60.000 Arbeitsplätzen durchaus realistisch (Grüne/Ines Hofbauer, 3–4).

Wirksamer Weg

Wie, aber, kann man ArbeitgeberInnen dazu bringen, auf die regelmäßige und systematische Anordnung von Überstunden zu verzichten?

Ein wirksamer Weg wäre die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung und Verteuerung von Überstunden. Der ÖGB fordert eine Überstundenabgabe in Höhe von einem Euro pro Stunde. Die Einnahmen sollen je zur Hälfte an das AMS und ins Gesundheitssystem fließen (ÖGB).

Die Unabhängigen GewerkschafterInnen, denen auch die KIV/UG angehört, sehen eine Lösung ebenfalls in dieser Richtung:

„Von progressiv steigenden Arbeitgeberbeiträgen zur Krankenversicherung für jede zusätzlich geleistete Überstunde, härteren Strafen bei Verletzung des Arbeitszeitgesetzes, bis hin zum Einstellungszwang von neuen MitarbeiterInnen bei über längere Zeiträume regelmäßig geleisteten Überstunden kann da die Palette reichen“
(UG/ÖGB).


Literatur

Europäische Kommission.
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie (zweite Phase der Anhörung der Sozialpartner auf europäischer Ebene gemäß Artikel 154 AEUV), 21. 12. 2010, KOM(2010) 801 endgültig, 2010.

Eurostat Abgerufen am 21.1.2016.

Famira-Mühlberger, Ulrike und Stefan Fuchs. Unbezahlte Überstunden in Österreich.
Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung. Monatsberichte 11/2013.

Grüne/Ines Hofbauer. Arbeitswelten; Frauen; Familie: Neue Arbeitswelten-Arbeitszeitpolitik-Arbeitszeitflexibilisierung (pdf). Abgerufen am 21.1.2016.

ÖGB Abgerufen am 21.1.2016.

Sorger, Claudia. Wer dreht an der Uhr?
Geschlechtergerechtigkeit und gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik.
Westfälisches Dampfboot, Münster 2014.

Statistik Austria Abgerufen am 21.1.2016.

Teriet, Bernhard. Beschäftigung von Arbeitslosen statt bezahlter Überstunden.
Zwei Ansätze im Rahmen der freien Förderung durch die Bundesanstalt für Arbeit: Das Neuwied- und das Bayern-Modell. Diskussionsbeiträge des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit.
Ausgabe Nr. 14/4. 10. 2002.

UG/ÖGB Abgerufen am 21.1.2016.

Wirtz, Anna. Gesundheitliche und soziale Auswirkungen langer Arbeitszeiten.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund 2010.

Zapf, Ines. Flexibilität am Arbeitsmarkt durch Überstunden und Arbeitszeitkonten.
Messkonzepte, Datenquellen und Ergebnisse im Kontext der IAB-Arbeitszeitrechnung. IAB-Forschungsbericht 03/2012.

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