Ein Ausblick für die nächsten fünf Jahre: Visionen aus dem Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung
Im 182-seitigen Regierungsprogramm für 2017–2022 sind den Frauen 2 1/3 Seiten gewidmet. Sollte der Platz, den die Regierung so wichtigen und komplizierten Themen wie Gleichberechtigung, Frauenrechten und Frauenförderung einräumt, noch nicht aussagekräftig genug sein, so klärt der erste Satz ausreichend darüber auf, wie Türkis-Blau die Rolle der Frau sieht und gesehen haben möchte: „Frauen in Österreich übernehmen und tragen heute Verantwortung in allen gesellschaftlichen und lebensentscheidenden Bereichen wie beispielsweise in der Erziehung, Pflege, Bildung, Wirtschaft, Umwelt oder in ehrenamtlichen Tätigkeiten.“ Als wichtigste Ziele definiert die Regierung für sich diese fünf Punkte:
- Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf
- Soziale Sicherheit für Frauen, auch im Alter
- Frauengesundheit und bessere Unterstützung von Schwangeren
- Gewaltprävention und Integration von Frauen
Kurz zusammengefasst: Vorwärts Frauen – wir müssen zurück
Neues Programm, alte Rollen
Dass mit der neuen Bundesregierung nicht wirklich große frauenpolitische Würfe möglich sein werden, geht aus parteipolitischen Programmen von ÖVP und FPÖ, dem Verständnis um Werte und Haltungen zu Frauen und Mädchen generell, als auch, im erweiterten Sinne, zur Familie heraus. „Erziehung, Pflege, Bildung, Wirtschaft, Umwelt oder ehrenamtlichen Tätigkeiten“ werden als Verantwortung der Frauen deklariert. Kurz um: weit weg vom realen Leben der Frau im dritten Jahrtausend.
Frau sein ist mehr. Frauen müssen nicht in Partnerschaften leben, um versorgt zu sein oder ein Kind zu haben. Frauen müssen auch nicht mehr ihren Lebensinhalt in der Aufopferung für die Familie sehen oder was auch immer und nicht alle Frauen sind Mütter. Frauen sind selbstbestimmte Mitglieder der Gesellschaft und müssen gleichwertig zu Männern ihren Platz in der Gesellschaft haben.
Die fünf Kernpunkte der türkis-blauen Frauenpolitik
„Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“, wobei das Wort Einkommensschere kein einziges Mal vorkommt. In Sachen „gleicher Lohn“ kündigt man die Prüfung aller Kollektivverträge gemeinsam mit den Sozialpartnern, sowie die Anrechenbarkeit von Karenzzeiten und Vorrückungen an.
Einkommenstransparenz soll forciert werden. Um Einkommenstransparenz zu schaffen, sollen zudem bestehende Einkommensberichte nach „bundesweit einheitlichen Standards“ zusammengeführt werden. Was aber bei Diskriminierungen geschieht, bleibt offen. Auch was Betrieben blüht, die auf Frauenförderung pfeifen, bleibt unerwähnt.
„Vereinbarkeit von Familie und Beruf“: Interessant, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf anscheinend ein reines Frauenanliegen ist. Väter sollen oder müssen hier anscheinend außen vor bleiben.
Um Familie und Beruf künftig besser unter einen Hut zu bringen, soll die Schulferienregelung geändert werden. Ansonsten verspricht man „flexiblere Öffnungszeiten“ der Kinderbetreuung, Ausbau der qualitativen, schulischen Nachmittagsbetreuung und eine Ausweitung der professionellen Ferienbetreuung“. Die ebenfalls angedachte steuerliche Begünstigung des Elitenprogramms Au-pair-Mädchen ist eine Maßnahme, die wohl den Großteil der arbeitenden Frauen nicht tangiert.
„Soziale Sicherheit für Frauen, auch im Alter“: In puncto soziale Sicherheit von Frauen verspricht man, bestehende Lücken im Unterhaltsgesetz zu prüfen. Pensionsansprüche der Eltern sollen während der Zeit der Kindererziehung und Betreuung „geteilt werden“, was für den jeweils in Karenz befindlichen Elternteil eine Verbesserung in der Höhe der Pensionsansprüche für diesen Zeitraum bedeuten könnte, für Alleinerziehende aber keine Verbesserung bringt.
Maßnahmen gegen Armut von Frauen, die nicht Mütter sind, kommen de facto nicht vor.
„Frauengesundheit und bessere Unterstützung von Schwangeren“: Gender-Medizin (zum Beispiel frauenspezifische Medikamentenverschreibungen) soll forciert werden. Außerdem sollen Unterstützungsleistungen für Schwangere in Konflikt- oder Notsituationen durch
Geld-, Sach- und Beratungsleistungen „forciert“ werden.
„Gewaltprävention und Integration von Frauen“: Zugewanderte und geflüchtete Frauen müssen unserem Gesellschaftsbild vertrauen lernen. Die erste konkrete Maßnahme ist demnach auch der „verstärkte Fokus bei Werteschulungen zur Aufklärung über Gleichberechtigung“ sowie die „Förderung im Bildungswesen von Kindern und Jugendlichen aus Herkunftsländern, in denen das Verständnis über die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht vorherrscht“. Welche Länder konkret gemeint sind, bleibt das Regierungspapier schuldig, ebenso, was mit österreichischen Familien zu tun sei, bei denen Gleichberechtigung und Gewaltfreiheit nichts Selbstverständliches sind. Der Bereich der Täterarbeit fehlt vollends.
Der weitere Ausbau von „Notunterkünften“ für Frauen wird angekündigt, was allerdings unter solchen zu verstehen ist und ob sie den Qualitätsstandards der Österreichischen Frauenhäuser, die in der Kompetenz der Länder sind und nicht erwähnt werden, unterliegen sollen, bleibt dahingestellt.
Frau kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass Männer in der Politik genau wissen, was Frauen brauchen: Wortkosmetik, Scheingleichberechtigung und Alltagsblabla. Für uns Frauen heißt das, die nächsten fünf Jahre der Bundesregierung werfen uns zumindest um 20 Jahre zurück. Und die „Damen“ in der MinisterInnenriege unterstützen und begünstigen diese Ideen auch noch.
Die türkis-blaue Realität: AlleinerzieherInnen und einkommensschwache Familien werden benachteiligt
Anfang Jänner wurde der Familienbonus von Euro 1500,- beschlossen. Familien, die Einkommenssteuer bezahlen, sollen pro Kind bis zum Alter von 18 Jahren diese Steuergutschrift bekommen. Im Gegenzug entfallen der Kinderfreibetrag und die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten zur Gänze. Das heißt, je höher das Einkommen, desto höher die Entlastung. Eltern mit niedrigen Einkommen gehen leer aus. Besonders AlleinverdienerInnen sind von den negativen Auswirkungen betroffen. Und diese Auswirkungen haben vielmehr Frauen als Männer zu spüren. Bezogen auf alle Frauen mit Kindern unter 15 Jahren versorgt mehr als jede achte Mutter (13,2 Prozent) ihre Kinder ohne einen im Haushalt lebenden Partner. Insgesamt sind das rund 99.000 alleinerziehende Mütter, die Zahl der alleinerziehenden Väter beläuft sich auf 9.000.
Rechte für Frauen sind leider nicht selbstverständlich
Auch 20 Jahre nach dem Frauenvolksbegehren von 1997, das damals 650.000 Menschen unterschrieben, sind Forderungen zur Gleichberechtigung, gerade angesichts der neuen Regierung und ihres Programms, immer noch nötig. Es gibt deswegen eine Neuauflage: das Frauenvolksbegehren 2.0. Grob geht es um folgende Schwerpunkte: Macht teilen – Geld teilen – Arbeit teilen – Armut bekämpfen – Wahlfreiheit ermöglichen – Vielfalt leben – Selbst bestimmen – Gewalt verhindern – Schutz gewähren.
Genauer sind die Ziele und Forderungen unter https://frauenvolksbegehren.at/forderungen-frauenvolksbegehren/ nachzulesen. Die Initiatorinnen noch bis 12. März Unterstützungserklärungen und werden sie dann beim Innenministerium einreichen. Der Zeitraum für die Eintragungswoche wird erst danach festgesetzt.
Dass die Ministerinnen der türkis (schwarz)-blauen Regierung bereits erklärt haben, die Initiative nicht zu unterstützen, ist diskussionswürdig und weit weg von Frauensolidarität. Vor allem von Frauenministerin Bogner-Strauß dürfen wir mehr als enttäuscht sein, sollte doch gerade sie sich für Gleichwertigkeit einsetzen. Mit Blick auf das Regierungsprogramm ist die Absage jedoch nicht überraschend, denn in diesem wird die Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern hervorgehoben, und das nicht zukunftsweisend für Frauen, sondern eher traditionell für Familienmodelle des letzten Jahrhunderts.
Wenn auch nicht alle Forderungen unterstützenswert erscheinen, sollten wir das Volksbegehren als Ganzes sehen und trotzdem unterzeichnen. Manche der Punkte ließen sich sofort umsetzen. Andere wie etwa die Arbeitszeitreduzierung sollten als Debattenbeiträge mit schrittweiser Umsetzung gesehen werden. Politisch betrachtet, müssen die InitiatorInnen mit Maximalforderungen reingehen, denn abgespeckt kann noch immer werden. Und wer sich mit Frauenpolitik auseinandersetzt oder sich dafür engagiert, weiß um die Mühen der Ebenen.
Bogner-Strauß hatte gemeint, dass der Forderungskatalog zwar einige interessante Punkte enthält, ihr jedoch Forderungen wie die Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden zu weit gehen. Die bundespolitische Ankündigung, 100 Plätze in Fraueneinrichtungen bis 2022 auszubauen, ist nett, doch weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein und im Zusammenhang mit den Forderungen des Volksbegehren ein Minischritt – sollte dieser überhaupt gemacht werden.