Die Angst der Wiener Verkehrspolitik vor der eigenen Courage.

Diskussionsbeitrag

Es werden ausnahmslos nur bereits veröffentlichte Informationen verwendet


Starttag 1. September 2012

Fast 20 Jahre hatte es gedauert, bis für die Wiener Parkraumüberwachung die sinnvollste Organisationsform umgesetzt wurde: die Übertragung aller Kompetenzen zur Kontrolle der Kurzparkzonen zusätzlich zu den bei der Bundespolizei befindlichen der StVO/Straßenverkehrsordnung und des KFG/Kraftfahrgesetzes an die LVA/Landesverkehrsabteilung der LPDion Wien ab 1.9.2012.

Die behördliche Überwachung des gesamten ruhenden Verkehrs in Wien war endlich in einer Hand, nachdem das Kontrollpersonal der MA 67 des Magistrates zur Landespolizeidirektion Wien abgeordnet war (siehe auch: https://www.kiv.at/wien/zone/artikel/3988/erfolgsprojekt-pueg) und die einheitliche PÜG/Parkraumüberwachungsgruppe im Rahmen des Referats 2.8 der Landesverkehrsabteilung der Polizei tätig wurde.

Der verwirrende „Kapperlsalat“ („Blaukappler“, „Weisskappler“ mit unterschiedlichen Kompetenzen) war beendet, was auch einen beispielgebenden Beitrag zu sinnvoller Verwaltungsreform darstellt, in einer Vereinbarung gemäß § 15a -Bundes-Verfassungsgesetz zwischen der Republik Österreich und dem Bundesland Wien geregelt wurde und über vorher hinderliche Parteigrenzen hinweg zustandekam („Rotes Wien“, „Schwarzes Innenministerium“, „Grüne Verkehrsstadträtin“ – wobei die Anstoßgeber der rote Bürgermeister und die grüne Vizebürgermeisterin waren).siehe auch:
http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2013_II_66/BGBLA_2013_II_66.pdf

Deutliche Erhöhung der Einnahmen aus Parkstrafen

Die Einnahmen aus Parkstrafen waren 2012 42 Mio Euro, stiegen 2013 auf 58 Mio Euro (in diese Zeit fiel die Erhöhung der Strafmandate von 21 auf 36 Euro und die Erweiterung der flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung in Aussenbezirken) und stiegen durch die Intensivierung der PÜG-Kontrollen 2014 weiter auf über 65 Mio Euro.

Dazu ein aktueller Zeitungsbericht in dem unser PÜG-Kommandant Oberst Wolfgang Schererbauer interviewt wird (irrtümlich als „Oberstleutnant Johann Schererbauer“): „Das Geld liegt auf Wiens Straßen“

Und was passiert mit den Einnahmen?

Das ist genau geregelt: Die Einnahmen sind zweckgebunden

Das ist aber nur die halbe Wahrheit – PÜG bewirkt noch mehr

Als direkte Folge der gut organisierten Parkraumbewirtschaftung gab es deutliche Frequenz- und Einnahmenzuwächse der öffentlichen Verkehrsmittel. Im Jahre 2014 hatten die Wiener Linien über 930 Mio Fahrgäste.
siehe: 2014: Rekorde bei Wiener Linien

Nicht bezifferbar sind die positiven Auswirkungen der verstärkten Kontrollen für den innerstädtischen öffentlichen Verkehr und den Wirtschaftsverkehr durch Freihaltung von Ladezonen, Grundstücks- und Betriebszufahrten, Behindertenparkplätzen, Trassen öffentlicher Verkehrsmittel und dadurch Stauvermeidung.

Hier hat die PÜG-Tätigkeit oft vorbeugenden Charakter, wodurch es oft gar nicht erst zu Beanstandungen und Einhebung von Strafgebühren kommen muss, aber wenn notwendig auch mit akut notwendigen Maßnahmen wie Abschleppen von verkehrsbehindernd abgestellten Fahrzeugen vorgegangen wird.

Oberst Schererbauer: „Schwindeln kommt teuer“

Ein positiver Effekt der Einbindung der „neuen PÜG“ in die Landesverkehrsabteilung der Polizei ist die erfrischende Offenheit der Verantwortlichen Probleme anzusprechen, die von vorsichtig formulierenden Kommunalpolitikern nur diskret angedeutet werden. PÜG-Kommandant Oberst Wolfgang Schererbauer warnte in einer Presseaussendung: „Schwindeln kommt teuer“

Grundlegende Änderung der Wiener Verkehrspolitik

Anfang der 1990er-Jahre wurden in Wien 40% aller Wege mit dem PKW zurückgelegt. Nicht zuletzt durch die Parkraumbewirtschaftung und den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel konnte dieser Anteil auf aktuell 27% gesenkt werden, in 10 Jahren sollen es nur mehr höchstens 20% sein. Bewirken soll das der im Projekt STEP 2025 vorgesehene  Maßnahmenkatalog der Stadtregierung

Synergieeffekte in Zahlen nicht messbar

Die Konzentration der Berichterstattung auf die Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung vernachlässigt wesentliche Teile der PÜG-Tätigkeit, deren positive Auswirkungen nur durch die enge behördliche Vernetzung magistratlicher und polizeilicher Arbeitsbereiche im Rahmen einer amtlichen Überwachungsgruppe erreichbar sind: PÜG hilft bei Kriminalitätsbekämpfung

ALLE wissen es: der motorisierte Individualverkehr in der Stadt muss reduziert werden!

Es werden sogar viele Schritte in die richtige Richtung gesetzt, nur bei der konsequenten Umsetzung gibt es häufig Probleme.  

Die Stadt ist nicht nur eine Ansammlung von Bauwerken und Verkehrsflächen, sondern urbaner Lebensraum von bald 2 Millionen Menschen. Öffentliche innerstädtische Flächen werden zum Großteil von Individualfahrzeugen verstellt, die meist 23 Stunden am Tag eigentlich Stehzeuge sind.

Die Zielsetzung der Parkraumbewirtschaftung kann nicht allein die Steigerung der Einnahmen durch Benutzungsentgelte und Strafgebühren sein. Irgendwann hat fast jeder ein Parkpickerl und kein Quadratmeter städtischer Lebensraum ist damit gewonnen. Dann werden selbstverständlich auch die daraus entstehenden Einnahmen stagnieren.

Die kommunalpolitische Bedeutung der Parkraumbewirtschaftung liegt in der Konzentration des motorisierten Individualverkehrs auf das unumgänglich notwendige Ausmaß: den notwendigen Wirtschaftsverkehr zur Sicherung der Versorgung, die kommunalen Dienste und Einsatzfahrzeuge und den überregionalen Verkehr zur Schließung von Lücken im öffentlichen Verkehrsnetz und für notwendige Transporte. Nur so kann vermieden werden, dass eine wachsende Großstadt ihre Wohn- und Lebensqualität verliert.

Möglichst viele anderen Verkehrsbewegungen müssen platz- und energiesparend durch alternative Fortbewegungsmöglichkeiten erbracht werden, wobei selbstverständlich auch das Auto seine Bedeutung nicht verliert, sein Gebrauch aber sinnvoll geändert werden muss. Zwangsmaßnahmen sind dabei nicht die beste Methode – die Schaffung attraktiver und kostengünstiger Alternativen schon.

Wien ist auf dem richtigen Weg, aber viele Kommunalpolitiker sind zu mutlos bei der Umsetzung.

Halbherzig umgesetzte Maßnahmen sind schlechte Maßnahmen

Weil Maßnahmen nur dann wirksam und glaubwürdig sind, wenn sie konsequent umgesetzt werden. 

Eine Regel ohne Kontrolle ihrer Einhaltung ist wertlos.

Parkraumbewirtschaftung ist nicht Parkplatzbeschaffung, sondern die gerechte Verteilung der Nutzungsmöglichkeiten der begrenzt vorhandenen öffentlichen Flächen.

Dafür ist die gutorganisierte PÜG notwendig.

„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“

Als Beispiel für eine Haltung des Zauderns sei hier nur die beim Handyparken bestehende Möglichkeit angeführt 15-Minuten-Gratisparkscheine aus der Ferne zu buchen, was den Mißbrauch dieser „Buchungs-„möglichkeit ohne Gebührenentrichtung wesentlich erleichtertt, weil diese „Buchungs-„zeit natürlich nicht mit der tatsächlichen Abstelldauer übereinstimmt und somit widmungswidrig und mißbräuchlich verwendet werden kann, um die Gebührenpflicht und Beanstandungen bei Kontrollen zu umgehen.

In manchen überparkten Grätzeln wird diese „Möglichkeit“ vermutlich systematisch ausgeschöpft und verschärft die ohnehin prekäre Parksituation.

Diese Mißbrauchsmöglichkeit wird hier deshalb als Beispiel angeführt, weil sie von niemand Geringerem als der Finanzstadträtin erwartet, öffentlich eingestanden und bewußt in Kauf genommen,wurde – auch die sonst so kämpferische Verkehrsstadträtin ging da in die Populismusfalle.  
Der dadurch entstehende jährliche Einnahmenverlust könnte durchaus ohne Übertreibung glaubwürdiger Schätzungen siebenstellig sein und spiegelt sich auch in den veröffentlichten Zahlen sinkender Einnahmen verkaufter Handy-Parkscheine wieder. Siehe: Gratisparken verlängert

Anrainerparken: Die Schwimmweste im Rettungsboot

Wenn die Bezirks-Parkpickerl das für Anrainer notwendige Rettungsboot sind, ihr Auto in Wohnnähe ohne Parkdauer-Beschränkung abstellen zu können, dann sind die jetzt immer häufiger werdenden „Anrainerzonen“ in denen ausschließlich Autos mit Bezirks-Parkkleber und Behindertenfahrzeuge geparkt werden dürfen, die Schwimmwesten in einem Rettungsboot.

Es ist nicht auszuschließen, dass möglicherweise der „bewußt in Kauf genommene“ Mißbrauch von Gratisparkscheinen samt Handybuchung nicht nur zu erheblichen Einnahmenausfällen für die Stadt führt, sondern auch trotz flächendeckender Parkraumbewirtschaftung zumindest in einigen Bezirksteilen zur Überparkung samt Parkplatzmangel für Anrainer.

Und die Spirale dreht sich weiter: schon hat sich die WKO zu Wort gemeldet, die Ausnahmegenehmigungen für Gewerbetreibende und deren Firmenfahrzeuge in Anrainerzonen verlangt.

Einer gefälligkeitshalber „bewußt in Kauf genommenen“ Inkonsequenz folgt die vorhersehbare Forderung nach der nächsten.

Lobbypolitik zugunsten von Teilinteressen schließt konsequente Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik eigentlich aus.

Das hat die Verkehrsstadträtin richtig erkannt – aber da hat sie die Rechnung ohne die Bezirkskaiser gemacht: Bezirksvorsteher sind empört

„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ – geht nicht!

Skurille Vorschläge

Den Anfang machte die FPÖ:

ein – kostenloses – Parkpickerl für alle Wiener Fahrzeuge, das zum – kostenlosen – Parken in ganz Wien berechtigt. Parkgebühren sollten nur für Nicht-Wiener Fahrzeuge bezahlt werden. Dieser Vorschlag passt nicht ins Rechtssystem der Gleichbehandlung und wäre juristisch ebensowenig haltbar wie die deutsche Autobahnmaut für Ausländer.

Abgesehen davon hätte ein Stadt-Parkpickerl „überall für alle“ verkehrspolitisch genau denselben Effekt wie er entsteht, wenn im Kino, im Theater oder im Stadion ALLE gleichzeitig aufstehen, um besser zu sehen. Keinen nämlich. Nur fremdenfeindlich wär er halt.

Das wurde ja noch von allen belächelt, die sich ernsthaft mit Verkehrspolitik beschäftigen.

Dann hatten aber die ÖVP-Bezirksvorsteher des 18. und 19. Bezirkes eine ähnlich originelle Idee. Die Einführung der flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung in ihren Bezirken wollen sie nur, wenn das Parkpickerl dann nicht nur in ihren Bezirken gilt, sondern als „Westpickerl“ in allen westlichen Bezirken von 15. bis 19.  

Dieser ÖVP-Vorschlag unterscheidet sich vom „Stadtpickerl“ der FPÖ lediglich bezüglich der Fläche die er umfassen soll.

Während die FPÖ aber nur die Nichtwiener von den Parkplätzen fernhalten will, wollen die Döblinger und Währinger ÖVPler auch Floridsdorfer, Simmeringer oder Favoritner von ihren Bezirken möglichst fernhalten, ihre Bezirsbewohner aber sollen in einem Drittel der Stadt unbegrenzte Parkerlaubnis haben. Die verkehrssteuernde Zielsetzung der Parkraumbewirtschaftung ginge daurch völlig verloren.

Jetzt werden allerdings auch in der SPÖ im Hinblick auf die bevorstehenden Gemeinderatswahlen einzelne Stimmen in diesen Bezirken laut, die ebenso ein „Westpickerl“ verlangen.

Dadurch wird der Vorschlag verkehrspolitisch zwar nicht sinnvoller, droht aber ernstgenommen zu werden. 

Wenn Einer statt der Bundeshymne „Ziwui, ziwui“ singt, gilt er wohl als Spinner – wenns aber alle tun, wird das womöglich irgendwann noch die Bundeshymne. Der Text wird dadurch nicht intelligenter.

Wiener Wahlen am 11. Oktober 2015

Hoffentlich beenden die Gemeinderatswahlen nicht nur derart skurille Einlagen zum Thema Verkehrspolitik und Parkraumbewirtschaftung, sondern es beginnt wieder eine konstruktive verkehrspolitische Zusammenarbeit in Wien – ohne Schielen auf Wählerstimmen von Lobbygruppen.

Der verkehrspolitische Weg der letzten Jahre in Wien war vernünftig und sollte fortgesetzt werden.

Die sachliche Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg brachte positive Entwicklungsimpulse in der kommunalen Verkehrspolitik. Ein sinnvoller Beitrag dazu waren der Aufbau und die Neuorganisation der PÜG. Das sollte fortgesetzt werden.

Ohne unentschlossene halbherzige „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ -Maßnahmen. Was als sinnvoll und zielführend erkannt wurde, sollte auch konsequent durchgeführt werden.

Diskussionsbeitrag von Gerhard Schwarz

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