Nun ist sie also beschlossen, die „Mindestsicherung Neu“
Über drei Stunden dauerte die Diskussion am 16. Juni im Landtag über die Kürzung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte (= Personen, deren Asylantrag zwar abgewiesen wurde, aber deren Leben oder Gesundheit im Herkunftsland bedroht wird).
Viele Sozialorganisationen, NGOs und zivilgesellschaftliche Initiativen haben sich über die letzten Wochen und Monate engagiert, um diese Kürzung abzuwenden. Auch SPÖ und die Grünen haben sich klar gegen diese Änderung positioniert. Doch weder Demonstrationen, Petitionen noch persönliche Gespräche vermochten die satte Beschlussmehrheit von ÖVP und FPÖ zu verhindern.
Nun ist sie also beschlossen, die „Mindestsicherung Neu“
Das klingt modern. Den Begriff Kürzung verwendet die ÖVP in ihren Stellungnahmen gar nicht. Die Sprache in der österreichweiten Diskussion um die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist bemerkenswert, denn es fällt auf, dass das Wort „bedarfsorientiert“ immer häufiger weggelassen wird. Die Rede ist also von Mindestsicherung, die damit zu deckenden Bedarfe werden ausgespart – im wahrsten Sinne des Wortes.
Und ohne Bezug zu Bedarfen und grundlegenden Bedürfnissen bleibt der Begriff „Mindestsicherung“ eine abstrakte Formulierung. Dass beispielsweise die durchschnittlichen Kosten alleine für den Wohnbedarf pro Person in Oberösterreich mehr als vierhundert Euro im Monat betragen, wird ausgeblendet.
Denn wenn in der Kommunikationspraxis der Bezug zur Lebenswirklichkeit systematisch verweigert wird, erhöht das die Akzeptanz für die Kürzungen der Regierungskoalition in Oberösterreich.
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung wurde eingeführt, um jene Menschen, die ihren Bedarf nicht aus eigener Kraft decken können, vor Armut zu schützen und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Wie der Wortlaut schon beschreibt, bietet sie ein Mindestmaß an existenzieller Absicherung.
Die Unterschreitung eines Mindestmaßes, das eine notdürftige (= kaum ausreichende) Existenz ermöglichen soll, bedeutet logischerweise die Schaffung von notleidenden Existenzen. Das widerspricht eindeutig der Zielsetzung des Oberösterreichischen Mindestsicherungsgesetzes.
Auch Nicht-ÖsterreicherInnen müssen ihren Lebensunterhalt bestreiten und haben die gleichen Ausgaben wie ÖsterreicherInnen. Die Chancen auf Integration schwinden, wenn der Kampf um die tägliche Existenzsicherung alle Kraft braucht.
Arbeitsanreiz oder Schikane?
Eine der Begründungen für die Kürzungspläne ist ein damit verbundener verstärkter „Anreiz“ zur Arbeitsaufnahme, wenn die Mindestsicherungsleistungen zum Leben nicht ausreichen. Angesichts der gegenwärtigen Rekordarbeitslosigkeit ist das höchst unrealistisch.
Auch zeigen alle Erfahrungen, dass eine Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten Zeit braucht – bedingt durch erlittene Traumatisierungen, Erfordernis des Spracherwerbs, Abklärung vorhandener beziehungsweise fehlender Qualifikationen etc. Eine Kürzung der Mindestsicherung wird an dieser Sachlage nichts ändern. Und: Schikanen schaffen keine Arbeitsplätze.
Der Begriff des Daueraufenthaltes in der „sozialen Hängematte“ ist von ÖVP und FPÖ (nicht nur in Oberösterreich) längst eingeführt. Arbeitsunwilligkeit wird generell unterstellt, ebenso der Bezug von Sozialleistungen als Dauereinkommensquelle und die künftige Unfinanzierbarkeit des Sozialsystems. Diese verkürzte Darstellung entspricht nicht der Wirklichkeit, schürt Neid und Misstrauen und wirkt entsolidarisierend. Die seitens der Politik verlangte Integration von Geflüchteten wird dadurch erschwert – nicht zuletzt wegen der steigenden Vorbehalte der Aufnahmegesellschaft.
Zuerst die Geflüchteten, dann die anderen?
Zurzeit dominiert das Thema der Mindestsicherungskürzungen für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte die politische Debatte. In einer von ÖVP und FPÖ betriebene und vom Oberösterreichischen Landtag beschlossene Resolution wird die Begrenzung von Mindestsicherungsleistungen für Mehrpersonenhaushalte mit maximal 1500 Euro pro Monat angestrebt.
Andere Bundesländer ziehen hier bereits mit. Insbesondere die Zukunfts-Chancen von Kindern der betroffenen Haushalte würden darunter leiden – das soziale Milieu zu verlassen würde deutlich schwieriger. Nach Einschätzung des Armutsnetzwerks Oberösterreich wird es nicht bei den geplanten Mindestsicherungskürzungen für anerkannte Flüchtlinge bleiben.
Können wir uns das leisten?
Nur drei Prozent der in Österreich lebenden Menschen beziehen Mindestsicherung, mehr als zwei Drittel davon beziehen die Mindestsicherung nur als Aufstockungsleistung auf ein zu geringes Erwerbseinkommen oder sonstige Einkommensarten.
Lediglich ein Prozent bezieht die volle Mindestsicherung. Die Kosten für die Mindestsicherungs-Geldleistungen einschließlich der Krankenhilfe machten 2014 nur rund 0,7 Prozent der gesamten Sozialausgaben aus.
Die Mindestsicherung sprengt daher keinesfalls das Budget. Kürzungen würden nur geringe unmittelbare Einsparungen bewirken, aber weitaus höhere sozial- und gesellschaftspolitische Folgekosten auslösen. Wollen wir uns das leisten?
Wohnen – weitere Hindernisse für Flüchtlinge sind geplant
Im Oberösterreichischen Regierungsübereinkommen von ÖVP/FPÖ ist eine gesetzliche Regelung vorgesehen, wonach Drittstaatsangehörige (Personen in Österreich, die weder EU/EWR-BürgerInnen und auch keine SchweizerInnen sind) künftig 54 Monate Einkommen beziehungsweise Sozialversicherung in einem Zeitraum von sechzig Monaten nachweisen müssen, um eine Anspruchsberechtigung auf geförderte Wohnungen zu haben.
Anerkannte Flüchtlinge werden davon massiv betroffen sein. Wenn der Zugang zu geförderten Wohnungen verunmöglicht und die Mindestsicherung im beschriebenen Ausmaß gekürzt wird, wird angemessenes Wohnen unmöglich. Prekäre Wohnformen und Obdachlosigkeit werden kräftig steigen.
Geparkt
Aber den regierenden Parteien ist offenbar bewusst, dass mit der „Mindestsicherung Neu“ ein selbständiges Leben in Oberösterreich nicht möglich sein wird. Sie sehen daher die Möglichkeit vor, dass anerkannte Flüchtlinge für weitere zwölf Monate im Flüchtlingsquartier bleiben können. Die Grundversorgung würde dann praktisch verlängert, sie erhalten auch nicht die 560 Euro. Sie sollen gleichsam geparkt werden, ein breites Sichtbarwerden in der Öffentlichkeit scheint nicht erwünscht. Integrationsförderlich ist das nicht, im Gegenteil!
Geschrieben von Josef Pürmayr, Geschäftsführer der Sozialplattform Oberösterreich, einem Netzwerk von Sozialorganisationen in Oberösterreich, und Mitglied im Armutsnetzwerk Oberösterreich
Infobox
Die „Mindestsicherung Neu“ für befristete Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte sieht künftig monatlich 560 Euro netto für Einzelpersonen vor. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus 365 Euro für Verpflegung und Wohnen, 155 Euro Integrationsbonus und 40 Euro Taschengeld.
Quelle: Die Alternative