Kein Schutz für TäterInnen!
Zivilcourage ist gefragt
Personalvertretung und Gewerkschaft haben Verantwortung für alle MitarbeiterInnen. Schutzmaßnahmen sind im Dienstrecht zu verankern.
TäterInnen, egal in welcher Funktion, haben Verantwortung für ihr Handeln und sollen zukünftig mit Konsequenzen rechnen müssen – bis hin zu Anzeigen und Verlust des Arbeitsplatzes.
Neue Studien decken erschreckende Missstände auf
Jede/r zweite MitarbeiterIn war im Beruf schon einmal Opfer von Gewalt. Verbale und auch körperliche Angriffe werden immer mehr. Schauplätze von Gewalt: Spitäler, Ämter mit Kundenkontakt, Schulen, Kindergärten, öffentliche Verkehrsmittel, Straßen und Bezirke mit Kurzparkzonen,…
Die Palette der Gewalt reicht von Beschimpfungen und Beleidigungen über sexuelle Belästigung bis hin zu körperlichen Attacken. Die Stadt Wien mit ihren über 60.000 MitarbeiterInnen ist täglich mit diesen Problemen konfrontiert.
Wir wollen nicht länger zuschauen und erdulden
Die steigenden Probleme dürfen nicht länger unter den Teppich gekehrt werden. Es ist Aufgabe der Dienstgeberin, Präventionsmaßnahmen zu setzen, um die
MitarbeiterInnen bestmöglich zu schützen. Dazu gehört auch, klare Sanktionen für die VerursacherInnen von Gewalt zu benennen. Und hier ist es egal, ob KollegIn, Führungskraft, Kunde oder Kundin – wir fordern Sanktionen für Täter und Täterinnen. Gewalt am Arbeitsplatz ist kein Kavaliersdelikt. Im Sinne einer gesunden und produktiven Unternehmenskultur soll es Betroffenen ermöglicht werden, Konflikte offen anzusprechen und sich gegen Übergriffe zu wehren. Im Anlassfall sollen Betroffene ein Beschwerderecht haben.
Die Schilderungen der KollegInnen aus den unterschiedlichsten Bereichen über unliebsame Begegnungen mit gewaltbereiten KundInnen nehmen rasant zu. Auch die KollegInnen selbst sind durch den zunehmenden Arbeitsdruck immer gestresster und immer weniger in der Lage, Konflikten aller Art im notwendigen Ausmaß zu begegnen.
Schwere, zielgerichtete Gewalt am Arbeitsplatz
Weltweit nimmt Gewalt in Betrieben immer mehr zu. In Österreich sind 3,1 Prozent der Männer und 3,3 Prozent der Frauen (rund 127.900 Personen) von Belästigung oder Mobbing am Arbeitsplatz betroffen. Unter physischer Gewalt bzw. Androhung von Gewalt leiden etwa 1,2 Prozent der Erwerbstätigen.
Eine EU-weite Befragung zeigte folgendes Ausmaß: 4 Prozent der Arbeitenden in der EU (6 Millionen) sind von körperlicher Gewalt betroffen, 2 Prozent (3 Millionen) von sexueller Belästigung und 8 Prozent von Einschüchterungen und Mobbing. Vermutlich ist die Dunkelziffer wesentlich höher. In immer mehr Betrieben wird Belästigung und Gewalt sichtlich zu einem ernst zu nehmenden Problem.
Wo liegen die Ursachen?
Zunehmende Belastungen durch Wettbewerbsdruck, knappe Personalressourcen, termingebundenes Arbeiten, Angst um den Arbeitsplatz sowie fehlende Kommunikation erhöhen das Konfliktpotenzial und damit die Gefahr, dass Gewalt zur Konfliktlösung eingesetzt wird. Eine weitere Ursache besteht darin, dass weder Konfliktpotenzial noch Gewalt als solche erkannt werden.
Was sind die Folgen von Gewalt?
Gewalt beeinträchtigt die Würde sowie die Gesundheit von Menschen und wird somit zu einem Menschenrechtsproblem (Ungleichheit, Diskriminierung und Stigmatisierung). Gleichzeitig hat Gewalt in den Betrieben aber auch dramatische Folgen, wie sinkende MitarbeiterInnenzufriedenheit, vermehrte Krankenstände, Personalsuchkosten und verursacht darüber hinaus gravierende Kosten für die Gesellschaft.
Eine lösungsorientierte Konfliktkultur und ein gutes Arbeitsklima können wesentlich dazu beitragen, dass Gewalt und Belästigung im Vorfeld verhindert werden.
Wer trägt die Verantwortung?
ArbeitgeberInnen haben generell die Pflicht, Leben, Gesundheit und Würde ihrer ArbeitnehmerInnen am Arbeitsplatz zu schützen (z.B. durch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin gem. § 1157 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, § 18 Angestelltengesetz, Gleichbehandlungsgesetz, ArbeitnehmerInnenschutzgesetz). Dementsprechend sind sie verpflichtet, in angemessener Weise für Abhilfe im Fall von Übergriffen am Arbeitsplatz zu sorgen. Auch ArbeitnehmerInnen tragen einen Teil der Verantwortung mit, indem sie sich im Betrieb partnerschaftlich verhalten.
Auf EU-Ebene wurde eine freiwillige Rahmenvereinbarung zum Thema Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz unterzeichnet. Ziel der Vereinbarung ist, Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz zu verhindern und auftretende Anlassfälle zu bewältigen. Weiters soll die Vereinbarung dazu beitragen, ArbeitgeberInnen, BetriebsrätInnen/PersonalvertreterInnen, Personalverantwortliche sowie ArbeitnehmerInnen für Belästigung und Gewalt in Betrieben zu sensibilisieren.
Beispiele für Gewalt am Arbeitsplatz
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) definiert Gewalt am Arbeitsplatz als „eine Handlung, eine Begebenheit oder ein von angemessenem Benehmen abweichendes Verhalten, wodurch eine Person im Verlauf oder in direkter Folge ihrer Arbeit schwer beleidigt, bedroht, verletzt, verwundet wird.“
Unter MitarbeiterInnen einer Organisation kommt es meist eher zu psychischer Gewalt, während körperliche Gewalt eher von Dritten (PatientInnen, KundInnen, SchülerInnen, etc.) verursacht wird.
Zur psychischen Gewalt zählen verbale Beleidigungen und Beschimpfungen, Unterdrucksetzen und Erpressungen, Belästigungen, Bedrohen und Einschüchtern, Demütigungen und Erniedrigungen, soziale Isolation sowie absichtliches Ignorieren.
Zur körperlichen Gewalt zählen das Schlagen, Werfen von Gegenständen, Stoßen und Beißen, körperliches Bedrängen, sowie Einschränkung der Bewegungsfreiheit , das Würgen und die Anwendung von Waffengewalt.
Im Weiteren wollen wir euch besonders die Erscheinungsarten von Mobbing, Stalking und sexueller Belästigung näher bringen:
Mobbing
Mobbing ist ein systematisches Vorgehen von einer oder mehreren Personen, das sich während eines längeren Zeitraums mit Regelmäßigkeit gegen eine bestimmte andere Person richtet. Ziel der Mobbingattacken ist es, die/den Betroffene/-n auszugrenzen, zu isolieren, in ein Machtungleichgewicht zu treiben, das Selbstwertgefühl zu schädigen und in letzter Konsequenz vom Arbeitsplatz hinauszudrängen.
Beispiele für Mobbingstrategien sind dabei Anschreien oder lautes Schimpfen, ständiges Unterbrechen, mit dem/der Betroffenen wird nicht mehr gesprochen, der betroffenen Person werden unangemessene Tätigkeiten übertragen, die das Selbstbewusstsein verletzen, sowie üble Nachrede.
Stalking
Stalking ist das willentliche und wiederholte Verfolgen oder Belästigen einer Person, deren physische und/oder psychische Unversehrtheit und Sicherheit dadurch bedroht wird. Beispiele von Stalkinghandlungen sind: Ständige unerwünschte Kontaktaufnahme (Telefonterror, SMS, E-Mail etc.), dauerndes Verfolgen und Überwachen, unerwünschtes Zusenden von Gegenständen, Bestellen von Waren unter dem Namen der Zielperson, Sachbeschädigung sowie körperliche oder sexuelle Übergriffe.
Sexuelle Belästigung
Sexuelle Belästigung liegt dann vor, wenn ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten gesetzt wird, das die Würde einer Person beeinträchtigt, für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist und eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schafft.
Beispiele für sexuelle Belästigung sind diskriminierende Kommentare sexuellen Inhalts, anzügliche Witze oder unerwünschte Geschenke, Annäherungsversuche, die mit Versprechen von Vorteilen oder Androhung von Nachteilen verbunden sind, exhibitionistische Handlungen, sexuelle Handlungen (z.B. unerwünschte körperliche Berührungen) und Aufforderungen zu diesen, Poster von Pin-ups am Arbeitsplatz, Anstarren und wertende Blicke.
Auswirkungen von Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz
Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz hat Auswirkungen sowohl auf die betroffene Person, als auch auf betrieblicher Ebene.
Bei Personen, die von Belästigung oder Gewalt am Arbeitsplatz betroffen sind, kann Folgendes auftreten: Verletzung der persönlichen Integrität, tiefe Verunsicherung, Konzentrationsschwierigkeiten aus Angst vor einer Wiederholung, Verlust des Selbstwertgefühls, gesundheitliche Beschwerden, wie Schlafstörungen, Kopf- und Magenschmerzen sowie psychische Beeinträchtigungen, wie depressive Verstimmungen und sich wiederholt aufdrängende Erinnerungen (posttraumatisches Belastungssyndrom).
Auf betrieblicher Ebene hat Belästigung und Gewalt Auswirkungen wie die Beeinträchtigung guter Zusammenarbeit, Verringerung der Produktivität und Arbeitsqualität durch innere Kündigungen, Arbeitsklima, in dem Verunsicherung und Misstrauen überwiegen, Anstieg von Fehlzeiten und krankheitsbedingte Abwesenheiten, hohe finanzielle Kosten durch Erfahrungsverlust, Personalsuche und -einschulung, Schadenersatzforderungen durch gerichtliche Entscheidung, Imageverlust und Verlust von Kundschaft und schwindende Loyalität gegenüber dem Unternehmen.
So kannst du Gewalt am Arbeitsplatz verhindern
Auch wir als MitarbeiterInnen können unseren Beitrag leisten, um Gewalt am Arbeitsplatz zu verhindern, sowohl an uns selbst, als auch an KollegInnen. Dazu gibt es verschiedene Maßnahmen, die ineinander greifen sollten. Einerseits ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen. Schau nicht weg, sondern mach dich für die betroffene Person stark. Ein Konflikt entwickelt sich nur dann zu Gewalt oder Belästigung, wenn das zugelassen wird. Wer tatenlos zu- oder wegschaut, trägt Mitschuld. Überprüfe auch dein eigenes Verhalten gegenüber deinen Mitmenschen.
Mach deine Grenzen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt deutlich: Zeige deinen Vorgesetzen, KollegInnen und KundInnen, wo deine Grenzen sind. Sprich Grenzverletzungen sofort an. Melde außerdem jegliches Vorkommnis von Gewalt am Arbeitsplatz einer Vertrauensperson (Vorgesetzte, PersonalvertreterInnen/ BetriebsrätInnen, Gewaltbeauftragte etc.), selbst jene Gewalthandlungen, die dir nebensächlich erscheinen – und nein, das ist kein Petzen.
Es kann außerdem helfen, die eigenen Kompetenzen zu erweitern. Erkundige dich in deiner Personalabteilung über Schulungen zur Prävention und zum Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz und nimm daran teil. Sensibilisiere deine KollegInnen: Schaffe in deinem Arbeitsumfeld Bewusstsein für die Gefahr, Auswirkungen und Sanktionen von Gewalttaten, indem du dieses Thema aktiv ansprichst.
Die Aufgabe von Dienstgeberin bzw. PersonalvertreterInnen/ BetriebsrätInnen
Besonders die Dienstgeberin, als auch die PersonalvertreterInnen oder BetriebsrätInnen spielen bei der Vorbeugung von Gewalt am Arbeitsplatz eine wichtige Rolle: Durch Information und Aufklärung über Ursachen, Verlauf und Auswirkungen von Belästigung und Gewalt, beginnend mit den obersten Ebenen der Organisation, sorgen sie für Enttabuisierung und Bewusstseinsbildung.
Genauso wichtig ist es, ein klares Bekenntnis zu einer Kultur der Gewaltfreiheit zu erstellen und zu leben, um klare Regeln für alle Beschäftigten jeder Hierarchieebene festzulegen. Bei der Gewaltvermeidung ist auch hilfreich, Verantwortlichkeiten dezentral und klar aufzuteilen, so dass Probleme leichter erkannt und Lösungen schneller gefunden werden können. Dazu gehören auch soziale, ehrliche Dialoge und Kommunikation durch offene Information der MitarbeiterInnen und deren Beteiligung an Entscheidungsprozessen.
Ein weiteres Mittel zur Vermeidung von Gewalt kann die Beiziehung eines Arbeitspsychologen/einer Arbeitspsychologin sein, um leicht zugängliche Beratung und Unterstützung anzubieten. Weiters sollen sowohl die Dienstgeberin, als auch PersonalvertreterInnen oder BetriebsrätInnen in der Lage sein, professionell mit Vorkommnissen von Belästigung und Gewalt im Job umzugehen, zum Beispiel mit Konfliktbewältigungstrainings. In weiterer Folge sind die MitarbeiterInnen darüber zu informieren, welche Schritte zu setzen sind, wenn sie von Gewalt betroffen sind.
Auch die Gestaltung eines Gewalt verhindernden Arbeitsumfeldes, regelmäßige Teambesprechungen und das Anbieten von Supervision und Coaching durch fachlich qualifizierte Personen können hilfreich sein. Die Beobachtung, Dokumentation und Rückmeldung von Gewalthandlungen ist ebenso wichtig wie die Unterstützung von Betroffenen durch Bereitstellung juristischer Beratung.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die regelmäßige Überprüfung der Einhaltung von Regeln und die konsequente Sanktionierung von TäterInnen, um NachahmerInnen gezielt abzuschrecken. Dazu ist es wichtig, eine Anlaufstelle innerhalb der Organisation für Betroffene durch vertrauensvolle, kompetente Personen (z.B. Mobbingbeauftragte) zu bieten, um sicherzustellen, dass derartige Ereignisse gemeldet und aufgearbeitet werden.
Konkrete Maßnahmen der Dienstgeberin bei Gewaltvorkommnissen
Kommt es zu Gewalthandlungen in einem Unternehmen, ist eine Intervention notwendig. Diese setzt sich aus unterschiedlichen Schritten zusammen. Möglichst früh muss ein Einsatz geeigneter Gegenmaßnahmen erfolgen. Deshalb ist genau auf erste Anzeichen zu achten (z.B. Veränderungen im Verhalten, häufige Krankenstände, Klagen über Schlafstörungen). Jeder Fall von Belästigung oder Gewalt ist ernst zu nehmen und den Betroffenen ist eine professionelle, kostenlose Nachbetreuung anzubieten (z.B. Rechtsbeistand, medizinische, therapeutische oder psychologische Hilfe).
Außerdem sind Sanktionen für schädliches Verhalten nicht nur anzukündigen, sondern auch tatsächlich zu setzen (Beispiele bei interner Gewalt: Ermahnung, Versetzung oder Kündigung; bei externer Gewalt: Aussprechen von Hausverboten).
Nach jedem Vorfall muss eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden (Welche Faktoren haben den Vorfall ausgelöst bzw. begünstigt?), um sich einen Überblick zu verschaffen, welche konkreten Faktoren eine Gefährdung für die MitarbeiterInnen darstellen und um entsprechende Gegenmaßnahmen zu setzen. Die Betroffenen sind über den Ausgang des Vorfalls zu informieren und schließlich hat eine Vorbeugung von Gerüchten und eine Bewusstseinsschaffung zu erfolgen.
Es sind also sowohl die Dienstgeberin, als auch alle KollegInnen in die Pflicht zu nehmen, wenn es um die Vermeidung von Gewalt am Arbeitsplatz geht. Auch wir als eure PersonalvertreterInnen bzw. BetriebsrätInnen wissen um unsere Rolle bei der Gewaltvermeidung: Die KIV/UG setzt sich vehement gegen Gewalt am Arbeitsplatz ein. Wir fordern für euch und uns alle:
- Klare Sanktionen für die VerursacherInnen von Gewalt am Arbeitsplatz – egal ob KundInnen oder KollegInnen
- Mobbing/Bossing ist kein Kavalierdelikt – deshalb Konsequenzen für Arbeitsweltterroristen
- Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz
- Deeskalationsschulungen in Abteilungen mit KundInnenkontakt
Denn: Wir kennen kaum eine/n KollegIn, die nicht schon einmal mit Gewalt am Arbeitsplatz konfrontiert war. Und nein, das ist kein Normalzustand, und wir müssen das auch nicht hinnehmen!
Um aufzuzeigen, wie weitverbreitet Gewalterfahrungen am Arbeitsplatz bei der Stadt Wien und vermutlich auch in allen anderen Gemeinden Österreichs sind, haben wir KollegInnen vor die Kamera gebeten. Lest hier mehr.
Wenn dich dieses Thema interessiert, kannst du auch hier weiter dazu nachlesen:
Grafiken: Created by Freepik