Offener Brief der Wiener Rettung.

Diesmal führt ein aktueller Vorfall dazu, sich etwas objektiv mit den derzeitigen „Rahmenbedingungen“ in unserer Dienststelle zu beschäftigen. Gleich vorab, ein strafrechtlich vorwerfbares Verhalten kann und darf nicht akzeptiert werden, jedoch
ist die Bewertung desgleichen keine Aufgabe der örtlichen PV.

Ich möchte mich auf diesem Weg bei einem Kollegen der FCG bedanken, der auf einer Socialmedia-Seite genau meine ersten Überlegungen zu diesem Vorfall zum Ausdruck brachte. Grundsätzlich gilt für jeden Beschuldigten bis zur Verurteilung
durch ein unabhängiges Gericht die Unschuldsvermutung. Als örtliche PV und Gewerkschaft darf man aber die Frage nach dem „warum“ durchaus stellen. Und dieses „warum“ bzw. „wie kann so etwas passieren“ muss objektiv hinterfragt werden dürfen.

Natürlich gibt es zahlreiche Faktoren die offene Aggressivität entstehen lassen und nicht alle sind nur auf äußere Einflüsse zurückzuführen. Jedoch ist wissenschaftlich durchaus anerkannt, dass „negative“ externe Bedingungen einen Anlassfall für
deviantes Verhalten darbieten bzw. es ermöglichen.

Was können derartige externe Bedingungen in unserem beruflichen Umfeld sein und warum bewerten wir sie als „negativ“?

Def.: negativ, adj., wird auch verwendet für: „…Ablehnung ausdrückend, nicht wünschenswert, im unteren Bereich einer Werteordnung angesiedelt, …“ (Duden, Onlineabfrage im Dezember 2015).

Externe oder äußere Bedingungen, die auf unser berufliches Umfeld Auswirkungen haben, sind zahlreich. Wir wollen hier nur einige behandeln und versuchen diese soweit wie möglich in einen Kontext zu internen Vorgänge zu setzen.

1. externer Einfluss Patient:

Es ist Aufgabe des Rettungsdienstes für, mit und am Menschen unter besonderen Bedingungen zu arbeiten. Keine Notfallsituation gleicht der anderen und jede Patientin, jeder Patient verdient bestmögliche individuelle Betreuung. Genauso individuell wie die konkrete Notfallsituation ist der sich darin befindende Mensch.

Es ist aber leider Fakt, dass es im Zuge von rettungsdienstlichen Aufgaben immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen auf RD-Personal kommt. Sowohl Patienten als auch Angehörige bzw. Dritte kommen als potentielle „Täter“ in Frage. Dieser traurige Teil des Dienstalltags wird seit einiger Zeit durch „Aggressions-Erfassungsbögen“ durch die RAK dokumentiert und archiviert.

Und hier die „negative“ Beurteilung in diesem Zusammenhang. Prinzipiell ist es eine großartige Idee derartige Vorfälle zu dokumentieren, wenn man konkrete Schlüsse daraus ziehen und durch interne Vorgaben bzw. Ausbildungsmaßnahmen für die Zukunft Abhilfe schaffen kann. Die Möglichkeit für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem Deeskalationstraining teilnehmen zu können ist der erste richtige und wichtige Schritt in diese Richtung. Jedoch wird diese Fortbildungsmaßnahme aus unserer Sicht von Seite der Dienststelle viel zu wenig unterstützt bzw. gefördert. Die Personalressourcen in diesem konkreten Bereich sind viel zu wenig. Um diese ausgezeichnete Fortbildung zu forcieren sind die Verantwortlichen unserer Dienststelle aufgefordert die dringend benötigten Ressourcen, personell wie finanziell, zur Verfügung zu stellen um nachhaltig eine Verbesserung im Bereich Aggressionsmanagement herbeizuführen. Das alleinige Sammeln von „Aggressionsbögen“ und die spärlichen Möglichkeiten zur Absolvierung der oben genannten Fortbildungsveranstaltung sind eindeutig zu wenig und führen, ein wie gesagt prinzipiell gutes Vorhaben, ad absurdum.

2. externer Einfluss Medien:

Und hier sind sämtliche modernen Kommunikationsmittel gemeint. Noch nie war es so einfach, so schnell und leider auch oft so wenig ausreichend recherchiert „Medienberichte“ zu verfassen und zu kommunizieren. Die Presse und Meinungsfreiheit ist unserer Meinung nach eine der wichtigsten Errungenschaften der Revolutionen im Zuge der Aufklärung und Grundbaustein einer funktionierenden Demokratie.

Gute und professionelle Medienberichterstattung zeichnet sich unter anderem durch objektive Wiedergabe von Ereignissen aus und ist fern jeglicher Vorverurteilung. In diesem Zusammenhang steht in erster Linie auch der viel verwendete Satz „…es gilt die Unschuldsvermutung“.

Als „negativ“ müssen wir leider in diesem Zusammenhang das Vorgehen unserer Pressestelle bewerten. Im konkreten Fall vermissen wir den Hinweis darauf, dass auch für unsere Kollegen, vor einer allfälligen Verurteilung durch ein unabhängiges Gericht, die Unschuldsvermutung gilt. Viele Kolleginnen und Kollegen haben uns auf die „Vorgehensweise“ der Pressestellen anderer Einsatzorganisationen hingewiesen, die in gleichartig gelagerten Fällen zuerst die internen bzw. externen Ermittlungen abwarten und laufende Verfahren nicht gleich öffentlich kommentieren. Das wäre auch aus unserer Sicht eine wünschenswerte Vorgehensweise im Bezug auf derartig schwerwiegende Anschuldigungen gegen Kolleginnen und Kollegen.

3. externer Einfluss Politik:

Obwohl es uns als aufrichtige Demokraten schwerfällt die Politik als „extern“ zu betrachten („…das Recht geht vom Volk aus…“) so sind die Entwicklungen, gerade auch in unserem Bereich des Gesundheitswesens, für „uns“ oft nicht mehr nachvollziehbar, in der Praxis nicht beeinflussbar und in diesem Sinne als extern zu bezeichnen.

Der Druck der seit einigen Jahren durch Einsparungen im Gesundheitssystem auf uns lastet, erreicht eine gefährliche Grenze der Überforderung unserer Kolleginnen und Kollegen. Nun ist es aber nicht so als hätten verantwortungsvolle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nicht seit längerem auf diese „Notsituation des Gesundheitssystems“ und dessen Gefahren für die Zukunft hingewiesen.

Ob im extra- oder intramuralen Bereich. Seit vielen Jahren werden immer wieder von untereinander unabhängigen Expertinnen und Experten die gleichen Missstände festgestellt und auf die Gefahren für die Zukunft unseres noch vorbildhaften Gesundheitssystems hingewiesen. Leider mit relativ wenig Resonanz der dafür zuständigen Politiker.

Die „negativen“ Auswirkungen dieser, unserer Meinung nach, „Vogel-Strauß-Politik“? Verunsicherung, Überforderung und alle damit einhergehenden Gefahren! In unserem konkreten Fall bedeutet dies eine massive Unsicherheit über „die Dinge, die da kommen mögen“. Das Rettungsdienstpersonal wird über die eigene berufliche und daher auch wirtschaftliche Situation im Unklaren gelassen. Klingt hart? Wie soll man es sonst beschreiben als mit Unsicherheit über die Zukunft wenn sich in kontinuierlichen Abständen die beruflichen „Rahmenbedingungen“ ohne begleitende ausreichende Kommunikation ändern, ohne Möglichkeit zur Diskussion?

Und da sind wir auch schon beim Hauptthema dieses Artikels angelangt. Interne Kommunikation! Wertschätzender Umgang mit Kolleginnen und Kollegen beginnt immer auch mit der entsprechenden Kommunikation. Wir wollen nicht, dass via Medien über uns, sondern intern und zeitgerecht mit uns geredet wird. Die vielversprechende Ankündigung einer „Kommunikation auf Augenhöhe“ verkehrt sich dieser Tage immer mehr auf das Erteilen von Weisungen. Berechtigte Kritik und Verbesserungsvorschläge werden als Denunziantentum abgetan. Das Ergebnis einer internen Umfrage über die Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterzufriedenheit wurde anscheinend archiviert. Die „Gerüchteküche“ existiert weiterhin, vielleicht sogar mehr als je zuvor.

All das und noch viel mehr dient nicht gerade dazu das Arbeitsumfeld als „sozial und wertschätzend“ zu bezeichnen und kann daher auch zur Verunsicherung unserer Kolleginnen und Kollegen führen. Miteinander sollten wir dieser Gefahr entgegenwirken um weiteren Vorkommnissen wie in den letzten Tagen von vorn herein die Grundlage zu entziehen. Furcht darf kein täglicher Begleiter im Rettungsdienst werden.

Vorschläge zu einer wertschätzenden und neuen Art der internen Kommunikation liegen nicht zuletzt auch in Form einiger Masterarbeiten von Mitarbeitern bereits vor. Zahlreiche weitere Anregungen die dienstlichen Abläufe effizienter zu gestalten und auf den Faktor Mensch bezogen wurden in den letzten Jahren immer wieder auch durch uns eingebracht. Deren Umsetzung bedarf keiner großen finanzieller Mittel jedoch Mut und Entschlossenheit andere Wege zu beschreiten.

Wir haben ein sehr gut funktionierendes Gesundheitssystem von unseren Vorgängergenerationen übernommen und zum Teil auch weiterentwickelt um zu Recht Stolz darauf sein zu können. Lasst uns jetzt nicht mitwirken diese Errungenschaften für uns und unsere kommenden Generationen zu zerstören.

„Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ (Kant)

„Alles bleibt besser“?

Reden wir darüber!

Eure KIV-Personalvertretung.

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